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gen imstande war. Selbst der Jugendstil erschöpfte sich letztendlich in Dekorelemen-
ten und war nicht geeignet, die Baukunst an sich zu erneuern, bzw. hatte sich bereits
nach kurzer Zeit überlebt. Rolfs Tätigkeit fällt allerdings in eine Zeit, in der für die Ar-
chitekten und Architekturtheoretiker wie gesagt andere ästhetische Prinzipien wichtig
wurden, und die Suche nach dem »passenden« oder einem »eigenen« Stil war weitge-
hend uninteressant geworden.
Es soll daher im Folgenden nicht versucht werden, Rolfs architektonisches Wirken
aus dem Blickwinkel irgendeiner Stilzugehörigkeit zu betrachten, denn das würde ihm
nicht gerecht werden. Zweifellos stützte er sich da und dort, wie sämtliche Architekten
der Vergangenheit dies immer schon taten, auf bereits formulierte Vorbilder, und er
lässt auch Einflüsse erkennen, die aus der Beschäftigung mit der Architektur der Ver-
gangenheit und Gegenwart resultierten. Im Vordergrund standen jedoch seine Über-
legungen, für jede Aufgabe die einzige zu denkende Lösung zu finden oder, anders
gesagt: die Komplexitäten einer Aufgabe zu begreifen und sie in ebendieser Komple-
xität zu lösen.
In einem Vortrag: »Was der Bauherr von seinem Architekten erwarten kann und was
er nicht von ihm erwarten darf«, den Rolf im März 1933 im Rotary-Club in Tientsin hielt48,
meinte er, dass ein Architekt in der modernen Zeit äußerst vielfältigen Anforderungen
genügen und über ein breit gefächertes Wissen verfügen müsse. Auf der einen Seite
gelte es, die Lage der jeweiligen Gebäude, die finanzielle Frage, die Wünsche der Bau-
herren sowie die Vorschriften der Behörden zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite
müsse der Architekt bei seinen Planungen stets die neuesten technischen Standards mit
einbeziehen und habe in diesem Sinn gerade auch der Innenausbau der Gebäude ei-
nen hohen Stellenwert. So sei etwa bei Wohnhäusern nicht nur der Wohnraum an sich
zu entwerfen, sondern gleichermaßen müssten die geeignete Heizung, Klima-, Telefon-
und Beleuchtungsanlagen, ein Lifteinbau etc. in die Planung mit einbezogen werden,
sodass sich in der Folge ein gut funktionierendes und einheitliches Ganzes ergebe, das
dennoch stets ästhetischen Ansprüchen gerecht werden müsse.
Von den rund 250 Projekten, die Rolf bearbeitet hatte, ist allerdings nur mehr ein
Bruchteil erhalten. Ein schweres Erdbeben im Jahr 1976 zerstörte weite Teile des Bade-
ortes Peitaiho und hatte auch in der benachbarten Stadt Tientsin eine verheerende Wir-
kung: Viele Gebäude wurden zerstört und es waren rund 25. 000 Tote zu beklagen. Die
politischen Ereignisse in China hatten zudem auch eine weitgehende Vernichtung von
Rolfs Archiv zur Folge.
48 Zusammenfassung des Vortrages in der Tageszeitung »Deutsch-chinesische Nachrichten«, Aus-
gabe vom 31. 3. 1933
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273