Seite - 233 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 233
uns beide Notwendigkeit – erst seit wir dieses Zimmer haben – haben wir auch eini-
ges Heimatgefühl und Ruhe und zufriedene Stunden gefunden. – Das Zimmer ist dun-
kelbraun poliert, d. h. die Möbel – und mit chinesischem grünen Stoff bezogen. Es sieht
sehr wohnlich dabei doch vornehm aus.« (Abb. 112)
Rund eineinhalb Jahre nach dem Umzug in das Haus machte Hermine allerdings
eine ernüchternde Entdeckung, und im Brief vom Jänner 1924 klagte sie mit Verbitte-
rung ĂĽber das Verhalten ihres Mannes, ĂĽber den sie ĂĽblicherweise kein negatives Wort
verlor oder hören wollte: »Heute weiss ich erst genau wie unsere Existenz vor 2 Jahren
hier ausgesehen hat. – Das der Jahresabschluss ein glänzender war. Hätte ich dies ge-
ahnt – so hätte ich auf manchem was notwendig war bestanden – aber so wusste ich
nur von der Abmachung dass jeder nur möglichst wenig aus dem Geschäft ziehen soll-
te – und verkniff mir Alles.« Amüsant ist in diesem Zusammenhang, dass Rolf perfekt
die damals durchwegs ĂĽbliche Rolle eines Ehemannes spielte, der nicht eindeutig sag-
te, was er wollte, aber selbstverständlich annahm, dass die Ehefrau das tue, was er er-
wartete. Hermine schreibt nämlich: »Wohl sagte Rolf wenn ich meinte, dies oder jenes
wäre nötig, ja wenn du meinst, so war ich denn immer wieder gelähmt, wer soll da klug
werden – so z. B. sind wir ohne ordentliche Betten geblieben.« Nach mehr als einem
Jahr musste sich Hermine noch immer mit einem äußerst unbequemen Bett begnügen,
und Rolf schlief sogar nur auf einem Feldbett daneben. AuĂźerdem gab es keinen Klei-
derkasten, und das Ehepaar lebte immer noch zu einem GroĂźteil aus Koffern und Kisten.
Die, wie Hermine schreibt, »rätselhaften« und damit lähmenden Antworten weitete
Rolf auch auf sonstige WĂĽnsche Hermines aus: Sie hielt sich nun schon ĂĽber zwei Jah-
re in China auf, und der Besuch der nicht weit entfernten Stadt Peking war insbeson-
dere nach der Enttäuschung über Tientsin ihr lang gehegter Wunsch. Allerdings »wenn
welche es anregten, meinte Rolf, ja, gehen wir, es kostet aber wohl an die 100 $« – und
die Reise unterblieb.
Hermines Erbitterung hätte sich wohl noch gesteigert, wenn sie gewusst hätte, dass
Rolf bereits in der Zeit ihres Wohnungstausches begonnen hatte, Geld in Liegenschaf-
ten anzulegen. Auch in den folgenden Jahren verschaffte er sich durch diverse Transak-
tionen einen soliden finanziellen Polster, während er im privaten Bereich einen nahezu
notorischen Sparzwang entwickelte. Denn auch als sich die Lebensumstände besserten,
zog sich sein Diktat des Sparens wie ein roter Faden durch Hermines Leben. Allerdings
muss man dazu sagen, dass Rolf sich selber ebenfalls äußerste Sparsamkeit auferlegte.
Mit besonderer Freude gestaltete Hermine den kleinen beim Haus gelegenen Gar-
ten, den auch Rolf anfänglich gerne benutzte, insbesondere in den Sommermonaten,
wenn seine Frau in Peitaiho weilte. Auch hier blieb jedoch die Enttäuschung nicht lange
aus: Der Garten wurde von der Hitze, den SandstĂĽrmen und dem in der Luft liegenden
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273