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Ruß sehr mitgenommen, und letztlich wurde er gar nicht mehr benützt. Stattdessen hat
Rolf ein an das Haus angrenzendes Flachdach mit Sonnendach und Blumenkästen aus-
gebaut. Allerdings wurde auch diese Anlage kaum genutzt und diente schließlich nur
mehr dem jeweiligen Haushund als Auslauf. Die im Vorgarten gepflanzte Akazie, die al-
ler Unbill zum Trotz schließlich bis zum zweiten Stockwerk reichte, wurde hingegen von
der Hauskatze als willkommene Aufstiegshilfe genutzt. Wie wenig Bedeutung diese Ter-
rasse für Hermine hatte, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie diesen Dachausbau in ih-
ren Briefen niemals ansprach, während sie das Gärtchen noch minutiös geschildert hat-
te. Allerdings fanden auch die Haustiere – üblicherweise ein Hund und eine Katze –, die
ein fixer Bestandteil des Geyling’schen Haushaltes waren, bei ihr niemals eine Erwähnung.
Wie stand nun Rolf zu seiner Frau ? Die von Hermine immer wieder beklagte »Ver-
schlossenheit« lässt auf eine gewisse Distanziertheit Rolfs schließen – eine Distanziert-
heit, die allerdings nicht fehlender Liebe entsprang, sondern eher Rolfs Bedürfnis, sich
von nichts und niemandem in seinem beruflichen Fortkommen stören zu lassen. Er setzte
damit jene Strategie fort, die sich schon während des Krieges und der Jahre der Gefan-
genschaft bewährt und Rolf dabei geholfen hatte, sich von Schwierigkeiten abzuschot-
ten. Auch emotionale Aufregungen, die detaillierte Berichte über seine berufliche Lage
bei Hermine unweigerlich ausgelöst hätten, waren für Rolf offenbar zum Arsenal an zu
vermeidenden Schwierigkeiten dazuzuzählen.
Manchmal fügte Rolf an die Briefe, die Hermine an seine Mutter schrieb, ein paar
Zeilen an. Immer betonte er, dass seine Frau sehr oder recht »brav« sei, wie auch am
26. 6. 1924 aus einer etwas ausführlicheren Briefstelle hervorgeht: »Sie [ Mädy ], ist doch
recht brav, und hat sich die Zeit hier ganz enorm entwickelt. Sie musste eben einmal
ganz auf eigenen Füssen stehen. Anfangs war es ja wirklich mitleidsvoll schwer für sie;
aber auch das musste durchgemacht sein. – Jetzt ist sie trotz ihrer überschwachen Ner-
ven recht selbständig und unternehmungssicher geworden, und trägt auch alle Wider-
wärtigkeiten und Ärger sehr tapfer.« Beinahe gewinnt man den Eindruck, dass Hermine
von ihrem Mann nicht wirklich ernst genommen wurde, denn die Zeilen vermitteln eher
den Eindruck, dass hier von einer heranwachsenden Jugendlichen und nicht von einer
erwachsenen Ehefrau die Rede ist. Allerdings scheint Hermines Verhalten, vielleicht durch
ihre schwache nervliche und gesundheitliche Konstitution bedingt, diese Einschätzung
provoziert zu haben. Denn bezüglich ihrer Schwägerin Greta schrieb Hermine im Juni
1923: »Ich dachte, wozu schreiben. Greta braucht mich im Grunde gar nicht, sie ist mir
ja weit überlegen – und sieht in mir immer wieder nur das kleine Mädchen.« Und auch
in Hinsicht auf die Frau ihres Hausarztes Dr. Brüll gesteht sie ihre Schwäche ein: »Frau
Brüll ist soviel gesunder und robuster in ihrem Denken – und ich kann da nicht immer
mit – dies quält mich etwas.«
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273