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begannen sich überhaupt aufzulösen, als sich herausstellte, dass die nunmehr er-
wachsenen Kinder ihr zukünftiges Leben nicht in China verbringen wollten. Die Toch-
ter stand im Begriff, mit ihrem Mann nach Deutschland auszuwandern, um dort ein
neues Leben zu beginnen. Franz war nun 20 Jahre alt, und es stand fest, dass er ein
technisches Studium absolvieren sollte. Das setzte jedoch ebenfalls voraus, China zu-
mindest vorübergehend zu verlassen, da es innerhalb des Landes keine geeigneten
Möglichkeiten für eine profunde, den Vorstellungen Rolfs entsprechende Ausbildung
gab. Vorerst organisierte Rolf für den Sohn noch einen qualifizierten privaten Unter-
richt in diversen technischen Fächern, um ihn für den Besuch einer Universität vor-
zubereiten. Doch ging Rolf davon aus, dass Franz in weiterer Folge in Wien studie-
ren würde, und in diesem Sinn erkundigte er sich in dem oben erwähnten Brief vom
Mai 1946 bei Greta: »Und weiters würde ich gerne wissen wie es um die Technische
Hochschule in Wien bestellt ist, da wir ja nun doch für Franzl weitersorgen müssen. Ist
sie überhaupt in Betrieb, und hat sie zeitgemäss, ich meine mit dem Ausland gleich-
wertige Lehrkräfte und Einrichtungen ? Franzl studiert zwar sehr fleissig und zielbe-
wusst, aber dieser private Unterricht ist doch nur ein Ersatz, und kommt nur für die
theoretischen Fächer in Frage. Mausi mit ihrem Erich wird wohl bald nachhause fah-
ren, das heisst nun in die Freiburger Gegend. Er hat Nachricht dass seinem Vaterhaus
und den Eltern nichts geschehen ist und dass er sofort im Badensischen Schuldienst
wieder beschäftigt wird.« In gewohnter Pragmatik setzt er fort: »So ist es trotz Allem
was mit der Trennung von uns verbunden ist für sie doch besser. Je später er nach
Hause kommt um so weniger gute Stellen werden frei sein, und hier die Verhältnisse
werden für ihn immer schlechter und sind nicht von Dauer.«
Letztendlich wurde jedoch auch der Plan fallen gelassen, dass Franz sein Studium
in Wien absolvieren werde, womit sich schließlich auch die Hoffnung zerschlagen soll-
te, den Lebensabend wenigstens gemeinsam mit dem Sohn verbringen zu können. Die
vage Überlegung einer Rückkehr nach Wien blieb, wenngleich das Projekt niemals kon-
kret in Angriff genommen wurde, nämlich auch weiterhin ein Fixpunkt im Leben von Rolf
und Hermine. Nach zwei Jahren Privatunterricht entschloss sich Franz 1947 allerdings, ein
technisches Studium an der Stanford University in Kalifornien zu beginnen. Die USA soll-
ten auch nach der erfolgreichen Beendigung dieses Studiums der Wohnort Franz Gey-
lings bleiben: Er ergriff einen technischen Beruf, heiratete eine Österreicherin und kam
erst viele Jahre später und auch dann nur vorübergehend nach Wien und Emmersdorf,
um seine Familie zu besuchen.
Die Tochter Maria Barbara ( Mausi ) ließ sich mit ihrem Mann hingegen dauerhaft in
Freiburg in der Bundesrepublik Deutschland nieder, wo ihr Mann eine Anstellung als
Lehrer fand und später Direktor eines Gymnasiums wurde.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273