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China 262
Nachdem die Kinder China verlassen hatten,
wurden auch Rolf und Hermine nur mehr von der
Hoffnung in China zurückgehalten, zumindest Tei-
le ihres in vielen Jahren erworbenen Vermögens
restituiert zu bekommen. Sie reduzierten ihren
Wohnraum, indem sie in das Obergeschoß des
in der deutschen Konzession gemieteten Hauses
zogen, wobei sogar der seinerzeit aus Österreich
importierte Kachelofen in einer neuen, moderne-
ren Zusammensetzung in den 1. Stock wanderte.
(Abb. 119) Gleichzeitig mit der Reduzierung des
Wohnraumes löste Rolf nun endgültig sein Ar-
chitekturbüro auf und entließ seine Angestellten.
Das Untergeschoß wurde an den ehemaligen Kla-
vierlehrer der Kinder und dessen Frau vermietet.
Der Koch und seine Frau – die Amah der Kin-
der – verließen den Geyling’schen Haushalt nach
25 Jahren, und nur Wang, der treue Diener von
Rolf, blieb bei der Familie.
Da die Konfiszierung des Eigentums vorerst nur den Grundbesitz betraf, hatte Rolf
zunächst noch die Einnahmen aus der Vermietung der Cambridge Flats zur Verfügung,
und er war auch immer noch für andere Hausbesitzer als Verwalter tätig. Die neue poli-
tische Lage brachte jedoch auch diesbezüglich sehr rasch Schwierigkeiten mit sich. Denn
etliche Mieter waren nun der Meinung, dass die Wohnungen im Sinne der kommunis-
tischen Idee der Allgemeinheit gehörten und daher keine Miete mehr bezahlt werden
müsse. Rolf, der seine Verhandlungen stets kontrolliert und objektiv zu führten pflegte,
konnte dann doch auch einmal die Geduld verlieren, als sich ein neuer Interessent wei-
gerte, Zahlungsverpflichtungen zu akzeptieren. Nach einer stundenlangen Diskussion
sollte endlich der Mietvertrag unterzeichnet werden, als dem potenziellen Mieter doch
noch weitere Argumente zu seinen Gunsten einfielen. Und nun lernt man Rolf von einer
ganz neuen Seite kennen: Er soll bebend vor Zorn aufgestanden und in das Nebenzim-
mer gegangen sein, um dort einen Sessel zu packen, den er in einem wilden Ausbruch
zu Kleinholz schlug. Der verschreckte Mieter soll im Glauben, Rolf sei um den Verstand
gekommen, rasch einen Arzt geholt und schließlich kleinlaut auch den Vertrag unter-
schrieben haben, um nun ja nicht Anlass zu weiteren Ausbrüchen zu geben.
Eines Tages, im Jahr 1952, landete Rolf mit streitenden Parteien sogar vor Gericht. Die
große Aufregung dieser Tage setzte Rolf sehr zu, und seine Herzprobleme machten sich
119 Rolf und Hermine, 1950er-Jahre
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273