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108 | Sakristeien
können die sakralen Gewänder in beliebiger Reihenfolge abgenommen werden, dreht
man die Galgen in den Schrank zurück, sind die Ornate der Zeichnung zufolge paral-
lel zur Rückwand angeordnet. Wie in der Sakristei des Stifts Wilten in Tirol finden
sich solcherart konstruierte Möbelstücke noch heute.280
Schränke, die wir heute als »Ankleidekredenzen« bezeichnen, sind meist zwei,
manchmal auch dreigeschossige Aufsatzmöbel.281 Prinzipiell können sie vor allen
Wänden des Raumes stehen, häufig nehmen sie jedoch in paarweiser Aufstellung zwei
Längswände ein, selten ist das gesamte Mauerwerk einer Sakristei mit Kästen verbaut
(Abb. 212, 215).282 Fast immer ruhen die Möbel auf einem hölzernen Sockel, manch-
mal schob man ein Podest an die Möbel heran. Eine Ausnahme stellen die Möbel
in der Sakristei der Linzer Jesuitenkirche dar, in deren Podesten flache Schubladen
laufen (Farbtaf. 25).
Wie die beiden frühen Möbel in Lilienfeld zeigen (Abb. 195), war der Möbeltypus
der Ankleidekredenz mit Kelchfächern im Osten Österreichs spätestens um 1642 voll
ausgebildet. Schwere Unterschränke und in der Tiefe weit zurückspringende Ober-
schränke gelten für solche Möbel als charakteristisch. In den Unterschränken befinden
sich meist breite Schubladen für Textilien, manchmal auch große leere Gehäuse, in
die Altarantependien von der Möbelschmalseite her eingeschoben werden (Abb. 336,
369). Häufig verschließen Türen die im Schrankinnern verborgenen Laden. Die Ober-
schränke bestehen aus einer langen Reihe gleichförmiger Kelchfächer, unter denen
gelegentlich das Fach des Abtes durch eine besondere Form heraussticht. Ähnlich
wie im Wiener Schottenstift (Abb. 89) akzentuiert es bisweilen ein bekrönender Seg-
mentbogen, manchmal wählte man auch ausgefallenere Lösungen. Die Einrichtung
der Sakristei in der Wiener Rochuskirche bietet hierfür ein gutes Beispiel (Abb. 54).
Der Kelchkasten des Abtes wurde dort in ein Möbelsegment eingesetzt, das der Fas-
sade von Kabinettschränken ähnelt. Außergewöhnlich präsentiert sich überdies das
Möbelensemble in der Sakristei von Schlierbach (Abb. 378), wo ein mit einem Vo-
lutenaufsatz und dem Lamm Gottes bekröntes Kelchfach als kräftiger Zylinder die
gleichförmige Schrankreihe der Konventualen durchbricht. In den Kelchfächern ver-
wahrten die Priestermönche jene Sakralgerätschaften auf, die sie für den täglichen
Gebrauch benötigten. Wie in den Sakristeien des Wiener Schottenklosters oder des
Stifts Neukloster in Wiener Neustadt lasten auf den Kelchkästen nicht selten hohe
280 Stift Wilten kommt im zweiten Band zur Sprache. Witte, Gotteshaus (1939), 166–167, schlägt auch
für moderne Möbel diese Art der Konstruktion vor.
281 Witte, ebd., 164–166, bezeichnet Ankleidekredenzen als Ankleidetische mit Aufsatz. Es mangelt noch
immer an einer klaren Definition der Termini.
282 Hierzu etwa Riesenhuber, Kirchliche Barockkunst (1924), 144–145 ; Keller, Sakristeien (2009), bes.
75–104 ; Gierse, Bildprogramme (2010), bes. 51–53, 96–105.
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Band I: Östliche Landsteile
- Titel
- Sakralmöbel aus Österreich
- Untertitel
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Band
- I: Östliche Landsteile
- Autor
- Michael Bohr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20512-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 730
- Schlagwörter
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Zur Barockisierung von Weltkirchen und Klöstern 31
- Tischlerwerkstätten in Wien 33
- Tischlerwerkstätten auf dem Land 36
- Zur Größe der Werkstätten 40
- Zur Zusammenarbeit von Tischlern mit andern Handwerkern 41
- Zur Beschaffung des benötigten Holzes 43
- Zur Qualität des Holzes und zum System der Vergütung von Tischlern 43
- Nachlassende Qualität der Tischlererzeugnisse im fortgeschrittenen 18. Jahrhundert 46
- Zu den verwendeten Materialien 48
- Zur Oberflächenveredelung und Restaurierung 51
- Exkurs : Technische Innovationen als Grundlage der Entwicklung neuer Gestaltungsformen 55
- II. Gestaltungsfragen, Stilformen und Ornamente 58
- III. Die Entwicklung des Kirchenmobiliars 81
- IV. Sakristeien 101
- Ihre Lage innerhalb des Raumgefüges 101
- Der Klosterplan von St. Gallen und frühe Sakristeimöbel 102
- Zur Funktion von Sakristeien, barocke Sakristeieinrichtungen und die Schriften von Carlo Borromeo und Jacob Müller 104
- Altäre und Scheinaltäre 104
- Lavabos 106
- Sakristeischränke und Ankleidekredenzen 107
- Zur Entwicklungsgeschichte der Sakristeischränke 110
- Ankleidetische und Tischkästen 111
- Truhen und Truhenbänke 113
- Beichtstühle 115
- Betpulte, Kniebänke und Bankpulte 116
- V. Mobiliar in Nebenräumen von Kirchen und Klöstern 118
- VI.Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln 127
- I. Klerus, Kirchen und Klöster – Tischlereien und Tischlerarbeiten 31
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 133
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 133
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 133
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 134
- I. Sakralbauten in Wien 135
- II. Sakralbauten in Niederösterreich 247
- Altenburg, Benediktinerstift 247
- Ardagger, Pfarrkirche hl. Margarete 260
- Dürnstein, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 264
- Geras, Prämonstratenser-Chorherrenstift 283
- Göttweig, Benediktinerstift 294
- Heiligenkreuz, Zisterzienserstift 315
- Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift 335
- Horn, Piaristenkirche 347
- Klosterneuburg, Augustiner-Chorherrenstift 352
- Krems, Piaristenkirche 367
- Krems, Pfarrkirche St. Veit 380
- Lilienfeld, Zisterzienserstift 386
- Melk, Benediktinerstift 408
- St. Marein, Pfarrkirche hl. Maria 434
- St. Pölten, Dom- und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 436
- Seitenstetten, Benediktinerstift 452
- Wiener Neustadt, Zisterzienserstift Neukloster 466
- Zwettl, Zisterzienserstift 477
- III. Sakralbauten in Oberösterreich 500
- Baumgartenberg, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 500
- Kremsmünster, Benediktinerstift 512
- Lambach, Benediktinerstift 534
- Linz, Jesuitenkirche (Alter Dom) 551
- Linz, Karmelitenkloster 566
- Linz, Seminarkirche Hl. Kreuz 572
- St. Florian, Augustiner-Chorherrenstift 580
- Schlägl, Prämonstratenser-Chorherrenstift 607
- Schlierbach, Zisterzienserstift 621
- Waldhausen, Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 631
- Wilhering, Zisterzienserstift 638
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse –
- Literatur
- Zusammenfassung und Ausblick 659
- Zum Aufbau des Buchs 659
- Historischer Abriss 660
- Entwicklungsgeschichte der Kirchenmöbel 661
- Zur Einrichtung verschiedener Räume in Kirchen und Klöstern 662
- Zur Hierarchie sakraler Einrichtungen 663
- Die Auftraggeber und ihr Einfluss auf die Kunstentwicklung 663
- Zum Verhältnis zwischen Auftraggebern, Architekten und Handwerkern 665
- Zu den Tischlern 665
- Stilistische Entwicklung der Möbel 666
- Regionale Besonderheiten 667
- Fazit und Ausblick 668
- Glossar 670
- Ortsindex 678
- Künstlerverzeichnis 682
- Abkürzungsverzeichnis 688
- Abbildungsnachweis 692
- Literaturverzeichnis 693