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28 Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848
geglückt sei, »Völker durch ein Machtwort umzuschaffen und durch
Patente alles in eine Gewalt zu geschmeidigen«.15 Dennoch sollte sich
die Regierung dem Ziel verpflichten, durch »Ausführung der Verbind-
lichkeiten und Rechte des Ganzen gegen die Theile und der Theile
gegen das Ganze, die Verhältnisse aller Stände […] wechselseitig zu
bestimmen und zu beschützen und durch Gründung eines dauerhaf-
ten Systems in der Gesetzgebung der Monarchie eine Verfassung zu
geben«.16 Dieser legalozentrische Denkrahmen prägte die aufgeklärte
Bürokratie bis 1848, dazu kam die angestrebte Wechselbefruchtung
der Kulturen der Monarchie: Der Prager Oberstburggraf Carl Cho-
tek, Sohn des unter Joseph II. aus Protest gegen die Steuer- und Agrar-
reformen des Kaisers demissionierten Hofkanzlers Johann Rudolph
Chotek,17 notierte 1839:
Die böhmische Nationalität suche ich allerdings zu erhalten, aber
darüber das fortwährende enge Anschließen an Österreich und den
ganzen Staatsverband nicht zu vernachlässigen. Ich wünsche keinen
Separatismus, aber festhalten soll jedes Volk der österreichischen
Monarchie an seinem Namen, seiner Sprache, an den ihm von der
Vorsehung zugewiesenen Vorzügen, und ein Ganzes bilden das sich
vor den anderen Völkern auszuzeichnen suchte. Solch’ eine Ämula-
tion kann nur Allen zum Vortheil gereichen.18
15 Drabek, Patriotismus und nationale Identität, 157-158, Fn. 23. Ganz ähnlich
schon ein anonymes Memorandum gegen den von Maria Theresias Kompila-
tionskommission erarbeiteten Entwurf eines Codex des bürgerlichen Rechts:
»Die Lage und der Luft von deren Ländern, die Nahrung und die Lebensart,
das Geblüt, die Gedächtnißart, die Auferziehung deren Inwohnern, welche
Stücke allesammt, wann die Sache recht betrachtet, in die Verfassung deren
Ländern sehr tief eingeschlagen, ist unter denen zerschiedenen Nationen
nicht gleich.« Und, ebenso gravierend: »Einem Land, wo die Unterthanen
freie Leute seind, kann nicht dasjenige Recht appliciret werden, was für jenes
Land doch erforderlich ist, wo die Leute nicht vollkommen frei, sondern auf
gewisse Art leibeigen seind.« Der Codex Theresianus und seine Umarbei-
tungen, hg. und mit Anmerkungen versehen von Philipp Harras Ritter von
Harrasowsky, 5 Bde., Wien 1883-1886, Bd. I, 4, u. Wolf Helmhardt Freiherr
von Hohberg, Georgica curiosa aucta. Das ist, umständlicher Bericht und
klarer Unterricht von dem adelichen Land= und Feldleben, Nürnberg 1701,
71.
16 Drabek, Patriotismus und nationale Identität, 157-158, Fn. 23.
17 Ivo Cerman, Chotkové. Příběh úřednické šlechty [Die Choteks. Eine Ge-
schichte des Amtsadels], Praha 2008, 385-395, 451.
18 Zit. n. Adam Wolf, Graf Carl Chotek. Geheimer Rath und Oberstburggraf
von Böhmen (1783-1868). Ein Lebensbild, Prag 1869, 17.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513