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Aufklärung habsburgisch - Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
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229Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik darauf zielte, die philhellenisch motivierte Ausbürgerung der Hebräer aus der antiken Geschichte zu vereiteln. Welche Rolle spielte die aufgeklärte Bibelhermeneutik im geschichts- politischen Koordinatensystem? Aufgeklärte Katholiken zitierten gerne den Scherz des Erasmus: Es sei leichter, Milch aus Bimsstein zu pressen, als Luthers dogmatische Ideen philologisch zu erhärten.111 Schon Johann Jahn hatte betont, dass die historisch-kritische Exegese der Katholiken jener der Protestanten mindestens ebenbürtig war, im frühen 19. Jahrhundert wurde dieses Argument zum Eckpfeiler kon- fessioneller Selbstbehauptung. In seinem mehrfach aufgelegten Buch Soll die Scheidewand unter Katholiken und Protestanten noch länger fortbestehen? beschrieb der nordböhmische Geistliche Augustin Bar- tholomäus Hille112 im Jahr 1818 selbstbewusst das Vermächtnis der aufgeklärten Exegese: Ursache an, weil der Täufer und seine Schüler keine Vorstellung desselben hatten, indem ihnen 1) die ganze Idee einer stellvertretenden Genugthuung abgegangen sey; 2) ein sterbender Messias ihnen ein ganz fremder Gedanke gewesen wäre; was 3) auch daraus erhelle, daß nicht nur die Juden, son- dern auch die Schüler des Täufers auf die Erklärung Jesu über seinen Tod sich in diesen Gedanken nicht finden konnten, da 4) weder im alten noch im neuen Bunde mit dem Tode Jesu die Nachlassung der Sünde verbunden werde. So wahr es nun ist, daß die bloße Vernunft von einer stellvertretenden Genugthuung keine gehörige Vorstellung und Überzeugung geben kann, und so begreiflich man es daher finden muß, daß die bloß rationalistischen Schriftausleger, wie z. B. neuerlich wieder Dr. Paulus (in den Jahrbüchern der Literatur, Heidelberg, 1835, 7. Heft) diese Lehre gerne aus der Bibel verban- nen möchten, so wenig kann doch eine unpartheyische […] Forschung des Alterthums zu dem Resultate gelangen, daß die Zeitgenossen Jesu gar keinen Begriff und keine Überzeugung von einer stellvertretenden Genugthuung gehabt haben […]«, es folgen Bezüge auf Johann Jahns Enchiridion und auf den Talmud: »Man vergleiche noch Jahn’s Enchridion Hermeneuti. pag. 145, wo selbst aus den üblichsten arabischen Reden, z. B. profecto ego sum redemtio pro te […] bewiesen wird, daß diese Vorstellungsart in der Denkweise der Orientalen tief gegründet sey, was sich vielleicht aus der An- nahme des Alterthums: ›Leiden setzen Vergehungen voraus, deren Strafen sie sind‹, durch die Leiden rechtschaffener Menschen erklären läßt, durch welche sie natürlich nicht eigene, sondern fremde Fehler abbüßen müssen. Vergl. das Buch Job.« 111 [Anonym,] Der Protestantismus, wie er sich in zwei neueren Schriften aus- spricht, in: TPM 3. Aufl. (1833), 14 V/5 [1817], 238-258, 256 (ein abgewan- deltes Zitat aus Plautus’ Persa, Erasmus, Adagia I.IV.75). 112 Hille wurde 1832 Bischof von Leitmeritz, in den 1860er Jahren begrüßte er als einziger böhmischer Bischof das Februarpatent mit einem Festgottes- dienst, vgl. Franz X. Reike, A. B. Hille, Wien 1910, 142. ϙϟ˴ ΍ Ω˴ϓ˴ ϰϧ˳͋·
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Aufklärung habsburgisch Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
Titel
Aufklärung habsburgisch
Untertitel
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
Autor
Franz Leander Fillafer
Verlag
Wallstein Verlag
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 4.0
ISBN
978-3-8353-3745-9
Abmessungen
14.0 x 22.2 cm
Seiten
628
Schlagwörter
Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
Kategorien
Geschichte Vor 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung 11
  2. I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
    1. 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
    2. 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
    3. 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
    4. 4. Zwischenresümee 49
    5. 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
    6. 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
    7. Ergebnisse 64
  3. II. Die katholische Aufklärung 67
    1. 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
    2. 2. Die theresianischen Reformen 71
    3. 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
    4. 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
    5. 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
    6. 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
    7. 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
    8. Ergebnisse 122
  4. III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
    1. 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
    2. 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
    3. 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
    4. 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
    5. 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
    6. 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
    7. 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
    8. Ergebnisse 192
  5. IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
    1. 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
    2. 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
    3. 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
    4. 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
    5. 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
    6. 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
    7. Ergebnisse 252
  6. V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
    1. 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
    2. 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
    3. 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
    4. 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
    5. 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
    6. 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
    7. 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
    8. 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
    9. 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
    10. Ergebnisse 331
  7. VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
    1. 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
    2. 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
    3. 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
    4. 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
    5. 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
    6. 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
    7. 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
    8. 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
    9. 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
    10. 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
    11. 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
    12. Ergebnisse 443
  8. VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
    1. 1. Die Josephiner und die Revolution 455
    2. 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
    3. 3. Josephiner versus Romantiker 471
    4. 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
    5. 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
    6. Ergebnisse 492
  9. VIII. Überblick 497
  10. IX. Was war Aufklärung? 513
    1. Das Gesamtbild 525
    2. Anhang 529
    3. Abbildungen 529
    4. Archivalien 530
    5. Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 532
    6. Quellen und Literatur 539
    7. Personen- und Sachregister 620
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