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391Rechtsstaat
und Gewaltenteilung im Vormärz
Alles, was das peinliche verfahren in sich begreift, alles was das
eigenthumsrecht nach dem strengsten, aber ächten begriffe der ju-
risprudenz in sich begreift […] vor die gerichtshöfe der justizver-
waltung [gehöre, FLF] ; alles übrige muss dem wirkungskreise der
politischen behörden ausschließend zugewiesen seyn und jenes, was
der landesfürst kraft seiner obersten gewalt, ich darf sagen, kraft
seiner obersten pflicht unternimmt, muss unangetastet bleiben, da
er davon nur gott allein rechenschaft schuldig ist.200
Sauraus Rezept der Selbstbindung des Monarchen kraft seiner Verant-
wortung vor Gott zielte auf die Immunität der fürstlichen Verwaltung
von der Kriminal- und Zivilgerichtsbarkeit. Zeitgemäß war Sauraus
Betonung der selbstherrlichen Fürstengewalt nicht mehr, die virulen-
ten Fragen, welche die Justizverwaltung wie auch die politischen Be-
hörden damals beschäftigten, ließen sich so nicht beantworten.
Wie die Katze um den heißen Brei schlich Saurau um die drei eigent-
lichen Probleme, die im Gesetzgebungsprozess um 1800 intensiv dis-
kutiert wurden, nämlich erstens die strafgesetzliche Abgrenzung der
Polizeiübertretungen von den Kriminaldelikten und die Zuständigkeit
der Behörden für die Ahndung der Ersteren201, zweitens das Recht der
Untertanen, die Aufhebung von Verwaltungsakten anzustrengen und
die Ausgestaltung der Rekurs- und Kassationsmodi für diese Fälle,
sowie zuletzt drittens, den allgemeinen gerichtlichen Rechtsschutz
gegenüber der Verwaltung.
1815 eröffnete Carl Joseph von Pratobevera die Pilotnummer seiner
neuen Zeitschrift Materialien für Gesetzeskunde und Rechtspflege
in den österreichischen Staaten mit einem großen Aufsatz über die
»Gränzlinien zwischen Justiz- und politischen Gegenständen«. Prato-
bevera hatte in Wien bei den Koryphäen Zeiller und Sonnenfels studiert,
1815 war er als ehemaliger Krakauer Gerichtspräsident, langjähriges
Mitglied der Gesetzgebungskommission und Referent für juristische
Fragen beim Staatsrat bereits einer der angesehensten Juristen der Mo-
200 HHStA KA, Kaiser-Franz-Akten Karton 91, Vortrag Franz Graf Saurau
vom 16. 5. 1797, zit. n. Thomas Olechowski, Rechtsgeschichte. Materialien
und Übersichten, 5., überarb. Aufl., Wien 2009, 88.
201 Dazu die ausgezeichnete Übersicht bei Josef Kudler, Erklärung des ersten
Abschnitts des Strafgesetzes über schwere Polizei-Übertretungen (Verge-
hen und Übertretungen) mit Berücksichtigung der auf dasselbe sich bezie-
henden später erlassenen Gesetze und Erläuterungen, mit einem Vorwort
von Anton von Hye, 6. vermehrte Aufl., Wien 1850, 32-33.
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513