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468 Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr
mischen Guberniums schildern, wie der Prager Oberstburggraf Wallis
seine Untergebenen schikanierte und körperlich quälte.39
Kübeck ist im Stil der empfindsamen Aufklärung erzogen,40 Ignaz
von Borns Rokoko erscheint ihm »stachelig« und »frostig«.41 Gellerts
Moralische Vorlesungen liest der junge Kübeck in der Kirchenbank
von Maria am Gestade, dorthin stapft er im strengen Winter mor-
gens vor Vorlesungsbeginn von seinem Studentendomizil am Tiefen
Graben empor42; derlei Erbauungslektüre im Kirchenschiff war nicht
nach dem Geschmack Clemens Maria Hofbauers, dem die Kirche
bald darauf als Sitz seiner Redemptoristen-Kongregation übergeben
wurde.43 Kübeck liest Gibbon und Voltaire,44 für Ciceros De Officiis
greift er zu Christian Garves Übersetzung,45 sein Jugendfreund, der
struppige Pythagoräer und Kantianer Olympius K. gilt dem Pflich-
tethiker Kübeck, als er ihn in den Ferien wiedersieht, als abschrecken-
des Beispiel.46
Während seines Studiums, in den Jahren 1798 und 1799, liefert sich
Kübeck Wortgefechte mit seinem Französischlehrer, einem Émigré.
Gegen ihn tritt Kübeck für die Ideale der Girondisten ein, er vertei-
digt die persönliche Freiheit und die Gleichheit aller Staatsbürger vor
dem Gesetz.47 Später bringt er seinen Staatswissenschaftslehrer, den
39 Über Wallis’ Folterkammer Kübeck, Tagebücher, I/1, 224 (1808).
40 Kübeck, Tagebücher, I/1, 4.
41 Ebda., 227 (1808); ders., Unveröffentlichte Tagebücher, HHStA, NL Kü-
beck, Paket 23, Bl. 67.
42 Kübeck, Tagebücher, I /1, 15, »Nächst Gott ist Gellert jetzt mein einziger
Freund und Führer.«
43 Weiß, Hofbauer.
44 Kübeck, Tagebücher, I/1, 26, 38, Mai 1798.
45 »Ich studiere sie mit Garve’s Uebersetzung, und seinen Anmerkungen, die
mich ebenso erbauen als rühren. Sie sind nicht so gefühlvoll, aber tiefer als
Gellerts moralische Vorlesungen«, Kübeck, Tagebücher, I/1, 22. Vgl. Johan
van der Zande, The Microscope of Experience: Christian Garve’s Transla-
tion of Cicero’s De Officiis, in: JHI 59 (1998), 75-94 und Norbert Waszek,
Übersetzungspraxis und Popularphilosophie am Beispiel Christian Garves,
in: DAJ 31 /1 (2007), 42-64. Garve war wie die anderen Popularphilosophen
mit dem Problem befasst, wie man den Menschen vom Erkennen des mora-
lisch Guten zum willentlichen Erstreben desselben bewegen könne. Kants
Definition des moralisch Guten als autotelische Sittlichkeit und kategori-
sche Pflicht, die ästhetischer Anreize, der Erfahrung des Schönen und der
Glückseligkeit entbehrte, überzeugte Garve nicht. In seinem De Officiis-
Kommentar verband Garve eng das Gute, Nützliche und Ehrenhafte. Vgl.
Van der Zande, The Microscope of Experience, 88-92.
46 Kübeck, Tagebücher, I/1, 17.
47 »Doch hatten wir am 20. [März 1798] eine ziemlich lange Unterredung. Ich
Aufklärung habsburgisch
Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Titel
- Aufklärung habsburgisch
- Untertitel
- Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850
- Autor
- Franz Leander Fillafer
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3745-9
- Abmessungen
- 14.0 x 22.2 cm
- Seiten
- 628
- Schlagwörter
- Aufklärung, Österreich, Habsburger, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Revolution, Geschichtsbild, Wissensgeschichte
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- I. Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling, 1770-1848 23
- 1. Der Patriotismus des Joseph von Sonnenfels 24
- 2. Der Landespatriotismus: Vom mehrsprachigen Vaterland zu den rivalisierenden Vergangenheiten seiner Nationen 30
- 3. Revolutionsabwehr, Sprachnationalismus und dynastische Loyalität: Joseph von Hormayr als Historiker 39
- 4. Zwischenresümee 49
- 5. Das Weltbürgertum der Völkerfreundschaft 51
- 6. 1848 und die Krise der liberalen Völkerfreundschaft 57
- Ergebnisse 64
- II. Die katholische Aufklärung 67
- 1. Der Josephinismus als »große Erzählung« der österreichischen Geschichte 67
- 2. Die theresianischen Reformen 71
- 3. Zwischen Barock und Aufklärung: Gelehrsamkeit, Kunst und Lebenspraxis 76
- 4. Die katholischen Reformer und das landesfürstliche Kirchenregiment 83
- 5. Barockbewältigung: Scholastiksatire und Patriotismuskonkurrenz im maria-theresianischen Prag 96
- 6. Das Methodentableau der katholischen Aufklärung 107
- 7. Newtonaneignung im katholischen Milieu: Von der Gotteserkenntnis zur Weltstruktur 110
- Ergebnisse 122
- III. Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar 125
- 1. Honigmond. Der antirevolutionäre Schulterschluss von Kirche und Erzhaus in den 1790er Jahren 125
- 2. Restaurative Geschichtspolitik und Sozialdiagnose 137
- 3. Von der Gemeinschaft der Rechtgläubigen zum überkonfessionellen Rechtsstaat: Kultusrecht und Staatshandeln im Vormärz 152
- 4. Die Selbstprovinzialisierung des restaurativen Katholizismus 160
- 5. Für Gott und Vaterland: Das Erbe der Aufklärung und die Rolle der Katholiken in der »nationalen Wiedergeburt« 163
- 6. Imperiale Integration durch konfessionelle Geopolitik: Von der barocken Rekatholisierung zum Austroslawismu Bartholomäus Kopitars 174
- 7. Wissenschaftspolitik und Theologie im Völkerfrühling: Die liberalen Katholiken zwischen Revolution und Konkordat 181
- Ergebnisse 192
- IV. Wissenskulturen des Vormärz 197
- 1. Kant im restaurativen Wissensregime 199
- 2. Bernard Bolzano und das Erbe der Leibniz-Wolff’schen Scholastik 209
- 3. Bolzanisten versus Herbartianer 219
- 4. Welches positive Wissen? Bibelhermeneutik und liberale Physik 223
- 5. Positivität und Restauration. Der wissensgeschichtliche und ästhetisch-politische Kontext 240
- 6. Eine Art Schadensabwicklung. Die postrevolutionäre Konstruktion der »österreichischen Philosophie« 248
- Ergebnisse 252
- V. Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt: Die Monarchie als Wirtschaftsraum 255
- 1. Der Grunduntertan als Staatsbürger und Eigentümer: Die aufgeklärte Agrarpolitik und ihre Folgen 258
- 2. Die Patrimonialrechte in der Erwerbsgesellschaft 274
- 3. Sonnenfels’ Œuvre 278
- 4. Rivalisierende Aufklärungen: Merkantilismus und Vernunftrecht 284
- 5. Sonnenfels und die Nachwelt: Der Staat als bürgerlicher Verein 291
- 6. Die Liberalkatholiken als politische Ökonomen 303
- 7. Zwischenresümee: Aufklärungserbe und ökonomischer Liberalismus 309
- 8. Der Gesamtstaat als Wirtschaftsunion 310
- 9. Ungarn in der Donaumonarchie: Wirtschafts- und Verfassungspolitik von Joseph II. bis 1848 315
- Ergebnisse 331
- VI. Naturrechtspraxis und Empire-Genese. Kodifikation, Rechtsstaat, Wissenschaftsgeschichte 335
- 1. Sonnenfels versus Zeiller. Der Zielkonflikt zwischen Verfassungs- und Privatrechtskodifikation in den 1790er Jahren 339
- 2. Der Kantianismus in der Rechtswissenschaft. Franz von Zeiller und sein Erbe 354
- 3. Die Politik des Metapolitischen. Zeillers Gesetzgebungstechnik und das »natürliche Recht« 361
- 4. Das natürliche Recht und die Privatisierung der ständischen Herrschaftsteilhabe 373
- 5. Die Wissenschaftsgeschichte des Rechts und die Gesamtmonarchie: Ein Zwischenresümee 381
- 6. Naturrechtskodifikation und Gesetzesexegese: Die Auslegungspraxis des ABGB 383
- 7. Rechtsstaat und Gewaltenteilung im Vormärz 388
- 8. Gesellschaftsvertrag und Revolutionsprävention: Das natürliche öffentliche Recht als Basisepistem 401
- 9. Ursprung ist das Ziel. Patriotische Rechtshistorie und parlamentarische Repräsentation im Vormärz 407
- 10. Vertrag als Fiktion. Die Naturrechtskritik der Junghegelianer 418
- 11. Pandektenkur. Der Siegeszug der historisch- römischrechtlichen Schule nach 1848 423
- Ergebnisse 443
- VII. Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr: Selbst- und Feindbilder der Restauration 455
- 1. Die Josephiner und die Revolution 455
- 2. Carl von Kübecks Lehrjahre. Eine Vignette 467
- 3. Josephiner versus Romantiker 471
- 4. Der innere Feind. Zur Metaphern- und Sozialgeschichte der Restauration 476
- 5. Opferkonkurrenz als Erinnerungskonkurrenz: Die Geschichtspolitik des Jahres 1848 und des Neoabsolutismus 489
- Ergebnisse 492
- VIII. Überblick 497
- IX. Was war Aufklärung? 513