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1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat
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satz „culture and identity“.159 Der Rang der ‚regionalen Musikgüter‘ für die
historische Konstruktion der österreichischen Nationalidentität und Hanslicks
Bedeutung für die Diskussion um die „national musical supremacy“ der ‚deut-
schen Tonkunst‘,160 die die damals gerade einsetzende Staatsbildung Deutsch-
lands partiell spiegelt, werden von ihr ebenso erörtert wie die politische Ziel-
setzung von Hanslicks Memoiren, die die selbstständige österreichische mit der
größeren deutschen Identität vermitteln mussten.161 Die beiden Essays zu Hans-
licks Diagnose der Wiener Operette bekunden verwandte Tendenzen: Hebling
destilliert praktische Kriterien Hanslicks für die ästhetische Beurteilung von
spezifischen Musikstücken, die dann eine tabellarische Aufstellung von Posi-
tiva und Negativa nach sich zieht.162 Gooley ist darüber hinaus aber auch mit
der politischen Begründung von Hanslicks Bewertung beschäftigt, die auf den
generellen Paradigmen des Wiener Liberalismus basieren dürften. Die Wie-
ner Operette, als zweifellos berechtigte Kunstform, ist für Hanslick erst dann
authentisch, wenn sie die ‚wahren‘ Grenzen des eigenen Genres beachtet und
sie mit der Grand Opéra oder gar dem Wagner’schen Musikdrama keinesfalls
konkurriert, also ihre musikalischen Charakteristika (z.B. dramatische Dekla-
mation, farbenprächtige Instrumentation) nicht ‚fälschlich‘ übernimmt. Hans-
licks Diagnose zu Johann Strauß Sohn, der von ‚kleinen Formen‘ (Tanzmusik)
zu größeren Gattungen bis hin zur Oper Ritter Pázmán (1892) ‚reifte‘, erhellt
dessen kritischen Standpunkt besonders signifikant:163
159 Als zusätzliche anglophone Untersuchung von Hanslicks Memoiren, die bis heute nicht
ins Englische übersetzt wurden, vergleiche: Hans Lenneberg, Witnesses and Scholars: Stu-
dies in Musical Biography, New York 1988, S. 150–160.
160 Freede, „Critic as Subject“ (wie Anm. 17), S. 192. Zu den größeren Kontexten siehe etwa
auch: David Brodbeck, Defining ‚Deutschtum‘: Political Ideology, German Identity, and
Music-Critical Discourse in Liberal Vienna, Oxford/New York 2014.
161 Zu den politischen Rücksichten von Musikästhetik und Zeitungskritik siehe vor allem
Celia Applegates Forschung: „What Is German Music? Reflections on the Role of Art in
the Creation of the Nation“, in GSR 15/4 (1992), S. 21–32; „How German Is It? National-
ism and the Idea of Serious Music in the Early Nineteenth Century“, in 19thCM 21/3
(1998), S.Â
274–296. Zum Thema Musik-Nation-Identität vgl.: Sanna Pederson, Enlightened
and Romantic German Music Criticism 1800–1850, Dissertation University of Pennsylvania
1995; dies., Music and German National Identity, hrsg. von Celia Applegate und Pamela Pot-
ter, Chicago/London 2002; Barbara Eichner, History in Mighty Sounds: Musical Construc-
tions of German National Identity 1848–1914, Woodbridge 2012.
162 Harald Hebling, „‚Eigentlich missratene große Opern‘. Hanslick und die Operette“, in
Antonicek/Gruber/Landerer, Hanslick zum Gedenken (wie Anm. 10), S. 325–331.
163 Für Hanslicks Beziehung zur liberalistischen Klassenvorstellung siehe neben Brodbecks
Arbeiten etwa auch: Margaret Notley, „Brahms as Liberal: Genre, Style, and Politics in
Late Nineteenth-Century Vienna“, in 19thCM 17/2 (1993), S. 107–123; dies., Lateness and
Brahms: Music and Culture in the Twilight of Viennese Liberalism, Oxford/New York 2007,
S. 207–211; Nicole Grimes, „German Humanism, Liberalism, and Elegy in Hanslick’s
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423