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1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung
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von ihm mit einem antisemitisch interpretierten Schreiben Wagners an Hanslick
scheinbar bewiesen wird.174 Darum erhielt eine zunächst faktische Unklarheit in
Hanslicks Lebenslauf eine politisch gesättigte Dimension, die die systematische
Hinterfragung der konkreten Wirkung dieses sozialen Umstands auf die kriti-
sche Tätigkeit und die komplizierte Konstitution von Hanslicks Identität nach
sich zog. Wenn Peter Gay bei der ehemals offenen Thematik unkritisch behaup-
ten konnte: „Does it matter? Did it stamp his work?“,175 so muss dies nach eini-
gen rezenten Arbeiten der ‚englischen‘ Hanslick-Literatur gewiss bejaht werden.
Speziell Brodbecks Forschung zur Goldmark-Rezeption illustriert, wie Hans-
licks Bewertung in betreffenden Einzelfällen von den verwickelten Spannungen
seiner eigenen Identität geprägt worden ist.176
Goldmark, der jüdischer Herkunft war und aus den äußeren Regionen der
habsburgischen Donaumonarchie (Keszthely / Ungarn) stammte, erwarb sich
eine erhebliche Reputation als Komponist und Musiklehrer in Wien und hat
damit jenes vorstehend beleuchtete Aufstiegs-Paradigma der liberalen Mentali-
tät eingelöst. Hanslick hatte diese jedoch erneut bedrängt gesehen, als die erste
Oper Goldmarks – Die Königin von Saba (1875) – ein ‚jüdisches‘ Musikkolorit
und somit einen „Jewish-Oriental character“ bekundete, der mit dem ‚deut-
schen‘ Musterbild der kulturellen Assimilation vermeintlich unvereinbar war.
Brodbeck, der die verdeckte Motivation Hanslicks aus den betreffenden Rezen-
sionen sorgfältig destillierte, deutet dessen Kritiken als „reflection of German
liberal ideology, which, in Habsburg Austria, countenanced, indeed sought to
encourage, ambitious ‚Bürger‘ from all the Monarchy’s ‚non-German‘ social
groups“. Sein Fazit: „Clearly, Goldmark’s retention of ‚Jewish- Orientalisms‘
– as Hanslick heard the music – could not easily be reconciled with this liberal
nationalist project.“177 Hanslick, der die komplexe kulturelle Assimilation mit
allen ihren Problemen durchlebt, sich mehr oder weniger bewusst als ‚deutscher
Österreicher‘ verstanden178 und sogar einige antisemitische Ressentiments des
174 Payzant, Sixteen Lectures (wie Anm. 12), S. 67–71.
175 Peter Gay, „For Beckmesser: Eduard Hanslick, Victim and Prophet“, in ders., Freud, Jews,
and Other Germans: Masters and Victims in Modernist Culture, New York/Oxford 1978,
S. 257–277, hier S. 275.
176 Zu Richard Wagner als Ansporn von Hanslicks VMS-Traktat siehe vor allem Bojan
Bujić, European Thought (wie Anm.Â
155), S.Â
7f.: „Although Wagner may have been a useful
goal against which to direct some of the polemical fire, it could be argued that the posi-
tion taken by Hanslick would have been expressed in very much the same conceptual
frame had the figure of Wagner not been there.“
177 Brodbeck, „Reception of Goldmark“ (wie Anm. 9), S. 140f. Zur Goldmark-Rezeption
von Hanslick und den politischen Kontexten siehe vor allem: ders., Defining ‚Deutschtum‘
(wie Anm. 160), S. 92–101, 213–217 und 222–233.
178 Dieses Konstrukt wurde nicht durch essentiell politische, sondern primär kulturelle
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423