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2.1. Legendenbildung: die historische Wendung Hanslicks
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loser Objektivität.371 Es muss aber erneut betont werden, dass hier nur eine
rein methodische Anlehnung angestrebt und die „‚exacte[ ]‘ Musikwissen-
schaft, nach dem Muster der Chemie oder Physiologie“ von ihm gar zur Uto-
pie erklärt wurde (VMS, S. 85). Die tatsächlich empirischen Wissenschaften
(Neurologie, Physiologie, Akustik etc.) sind zwar durchaus geeignet, „ein-
schlägigen Fehlschlüssen“ wirkungsvoll vorzubauen (VMS, S. 123), bleiben
hiermit jedoch innerhalb ästhetischer Problematiken einzig negativ relevant.
Da sie nur elementare Bestandteile der musikalischen Komposition und der
physiologischen Sinneserfahrung untersuchen und das konstitutive intellektu-
elle Teilmoment des künstlerischen Gegenstandes sowie dessen ganzheitliche
Wahrnehmung demnach verfehlen, seien sie nur musikästhetische Hilfsdiszip-
linen, nicht schon selbst Ästhetik (VMS, S. 115).372
Hanslick entfernt folglich alle ‚externen‘ Parameter aus der Disziplin
‚Ästhetik‘ und lässt nur musikalische Eigenschaften sowie deren historische
Entwicklung als genuin ästhetisch gelten, was dazu führt, dass etwa musikali-
sche Originalität als historische Kategorie von ihm trotz allem adäquat gedacht
werden kann. Wenn diese ontologische Unterteilung von ‚intern‘ und ‚extern‘
im 20. Jahrhundert tiefgreifender problematisiert und von der ‚New Musico-
logy‘ gar als „treasured distinction between the musical and the so-called ex tra-
musical“ eingeschätzt wurde, welche letztlich ‚aufgelöst‘ („dissolve“) werden
müsse (Kap.Â
4.2),373 stellte diese im 19.Â
Jahrhundert ein wichtiges Werkzeug für
die theoretische Nobilitierung von ‚reiner‘ Musik dar, bei der Kant und Hegel
etwa noch einen tatsächlichen Kunststatus hinterfragten (Kap. 4.1).374 Obwohl
371 Zu Hanslicks Konzeption der ästhetischen Wissenschaft siehe vor allem: Landerer,
„Ästhetik von oben?“ (wie Anm. 88); Boisits, „Eduard Hanslicks Rechtfertigung“ (wie
Anm.Â
339); Eduard Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik
der Tonkunst, hrsg. von Markus Gärtner, Darmstadt 2010, S. 8f.
372 Zu dieser Lesart von Hanslicks VMS-Traktat, welche dessen perspektivische Vorgehens-
weise methodisch aufschlüsselt, siehe etwa auch: Alexander Wilfing, „Tonally Moving
Forms – Peter Kivy and Eduard Hanslick’s ‚Enhanced Formalism‘“, in Principia – pisma
koncepcyjne z filozofii i socjologii teoretycznej (2018).
373 Susan McClary, „Narrative Agendas in ‚Absolute‘ Music: Identity and Difference in
Brahms’s Third Symphony“, in Musicology and Difference: Gender and Sexuality in Music
Scholarship, hrsg. von Ruth A. Solie, Berkeley/Los Angeles/London 1993, S.Â
326–344, hier
S. 328.
374 Zu dem Problem von Kontext und Werk siehe etwa kurz: Jerrold Levinson, „What a
Musical Work Is“, in JoP 77 (1980), S. 5–28; Leo Treitler, „Language and the Interpreta-
tion of Music“, in Music and Meaning, hrsg. von Jenefer Robinson, Ithaca/London 1997,
S. 23–56; Lydia Goehr, The Quest for Voice: On Music, Politics, and the Limits of Philosophy,
Oxford/New York 1998, S.Â
6–47. Vergleiche ebenfalls allgemein: Lydia Goehr, The Imag-
inary Museum of Musical Works: An Essay in the Philosophy of Music, Oxford 1992, S. 13–86;
Julian Dodd, Works of Music: An Essay in Ontology, Oxford/New York 2007.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423