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2. These und Exkurs: Hanslicks Methodik – Ästhetik versus Kritik
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Hanslick dann aber in seinen Kritiken genau diesen kontextuellen Ãœberle-
gungen, die von ihm von der ‚reinen‘ Ästhetik isoliert wurden, eine erhöhte
Relevanz beimisst und generelle historische Umstände wiederholt einbezieht,
kann dies nicht als tatsächliche Rücknahme seiner ‚früheren‘ Position beur-
teilt werden, die oft als ahistorisch missdeutet wurde, aber eine divergierende
Stoßrichtung dokumentiert. Denn Hanslicks Argument hat der historischen
Musikforschung – die er als akademische ‚Kunstgeschichte‘ bezeichnete – eine
zwar separate, aber genauso legitime Funktion beigelegt, die bei Hanslicks
Aufsätzen schlagend wurde, welche keine ästhetischen Abhandlungen, sondern
vielmehr ‚lediglich‘ tagesaktuelle Rezensionen repräsentieren. Wenn also etwa
Beinroth kritisch anmerkt, dass diese Arbeiten Hanslicks die formale Metho-
dik von VMS wiederholt unterlaufen, verkennt dieser schlicht, dass Hanslick
die historische Bestimmung, die zeitlich fixierte Genese und die ästhetische
Betrachtung der musikalischen Komposition voneinander unterscheidet.375
Ohne hier die theoretische Universalität der Hanslick’schen Differenzie-
rung relativierend aufzuheben, könnte wegen seiner Fallbeispiele dennoch
vermutet werden, dass dieser primär gegen eine biographistische Musikher-
meneutik angeschrieben hat, die damals weithin gepflegt wurde376 und auch
noch heute mehrfach praktiziert wird.377 Hanslick bezieht deutlich Stellung:
„Mag der Historiker eine künstlerische Erscheinung im Großen und Ganzen
auffassend, in Spontini den ‚Ausdruck des französischen Kaiserreichs‘, in Rossini
die ‚politische Restauration‘ erblicken, – der Aesthetiker hat sich lediglich an
die Werke dieser Männer zu halten, zu untersuchen was daran schön sei und
375 Fritz Beinroth, Musikästhetik von der Sphärenharmonie bis zur musikalischen Hermeneutik.
Ausgewählte tradierte Musikauffassungen, Aachen 1995, S. 161. Obwohl Barbara Titus in
„Quest for Form“ (wie Anm. 58), S. 83, auf die historisch definierte Schönheit in Hans-
licks VMS-Traktat korrekt hinweist, wird diese zentrale Differenz von ihr aus der umge-
kehrten Blickrichtung neuerlich verdrängt, die nur Hanslicks Musikkritik, nicht dessen
ästhetische Abhandlung zutreffend beschreibt: „Hanslick always looked at the time of the
emergence of a work of art to judge it.“ Vgl.: Panaiotidi, „Alexandr Mikhailov“ (wie
Anm. 29), S. 84.
376 Für die spezifische Ausrichtung von Hanslicks ‚Polemik‘ siehe vor allem: Laurenz Lütte-
ken, „Die ‚nachhelfende Arbeit der Phantasie‘. Ästhetik, Werturteil und musikalische
Wissenschaft im Umfeld Hanslicks“, in Antonicek/Gruber/Landerer, Hanslick zum
Gedenken (wie Anm. 10), S. 65–75. Vgl.: Stange, Musikanschauung Eduard Hanslicks (wie
Anm. 324), S. 241; Hans Albrecht, Hans Haase und Walter Wiora, „Musikwissenschaft“,
in MGG, Kassel/Basel 1961, Bd.Â
9, Sp.Â
1192–1220, hier Sp.Â
1208f.; Cadenbach/Jaschinski/
Loesch, „Musikwissenschaft“ (wie Anm. 59), Sp. 1805f.
377 Siehe dazu etwa Gregory Karl und Jenefer Robinson, die ihre semantische Ausdeutung
der zehnten Symphonie von Schostakowitsch – die angeblich Hoffnung ausdrücke – mit
biographischen Informationen rechtfertigen: „Shostakovich’s Tenth Symphony and the
Musical Expression of Cognitively Complex Emotions“, in JAC 53/4 (1995), S. 401–415.
Siehe dazu auch eine direkte Kritik Kivys: Ancient Quarrel (wie Anm. 5), S. 157–175.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423