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2.1. Legendenbildung: die historische Wendung Hanslicks
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warum“ (VMS, S.Â
93). Seine schon zuvor erörterte Reflexion auf die sukzessive
Entwicklung des musikalischen ‚Materialstands‘ zeigt dabei, dass für ihn der
tatsächliche Gegenstand einer ästhetischen Untersuchung – die musikalische
Komposition – geschichtlich determiniert ist, aber ihre jeweilige ‚Intention‘
eine rein biographische Gegebenheit repräsentiert, die ohne jede ästhetische
Bedeutung sei und die der historischen Musikforschung zugerechnet wer-
den müsste. Nur das faktisch Gegebene sowie dessen historische Einbettung
in der Geschichte des ‚Materials‘ ist ihm ästhetisch wesentlich, da sie ‚objek-
tiv‘ analysiert werden können:378 „In der Tonkunst gibt’s keine ‚Intention‘ in
dem beliebten technischen Sinne. Was nicht zur Erscheinung kommt, ist in der
Musik gar nicht da, was aber zur Erscheinung gekommen ist, hat aufgehört,
bloß Intention zu sein“ (VMS, S. 88). Dass diese analytische Objektivität selbst
durch historische Parameter bestimmt ist – was dann etwa Joseph Kerman ein-
dringlich aufzeigte379 – und Hanslick die subjektive Perspektive und histori-
sche Konstitution des einzelnen Forschers mangelhaft reflektierte,380 soll noch
genauer erörtert werden (Kap. 4.2). Doch hatte Hanslick durch seine beschrie-
bene Reserviertheit gegen intentionalistische Werkbetrachtungen den ‚New
Criticism‘ der anglophonen Literaturtheorie zumindest teilweise antizipiert,381
den Monroe Beardsley und W. K. Wimsatt in „The Intentional Fallacy“ kano-
nisch formuliert haben382 und der weiterhin diskutiert wird.383 Auch dort wird
378 Gunnar Hindrichs beschrieb unlängst, wie die nuancierte Verknüpfung von Material,
Historie und Geist die Hanslick’sche Musikästhetik methodisch durchzieht: Die Autono-
mie des Klangs. Eine Philosophie der Musik, Berlin 2014, S. 49–51.
379 Joseph Kerman, „How We Got Into Analysis, and How to Get Out“, in CI 7/2 (1980),
S. 311–331.
380 Boisits, „Ästhetik versus Historie“ (wie Anm. 250), S. 96.
381 Mehrere Forscher leiten Beardsleys Hypothese sogar direkt von Hanslick ab: Jerome
Stolnitz, Aesthetics and Philosophy of Art Criticism: A Critical Introduction, Boston/Cam-
bridge, Mass. 1960, S.Â
483f.; Randall R. Dipert, „The Composer’s Intentions: An Exami-
nation of Their Relevance for Performance“, in MQ 66/2 (1980), S. 205–218, hier S. 205;
Alperson, „Formalism and Beyond“ (wie Anm.Â
351), S.Â
261; Ahonen, Musical Communica-
tion (wie Anm.Â
239), S.Â
72; Hanne Appelqvist, „Form and Freedom: The Kantian Ethos of
Musical Formalism“, in NJA 40–41 (2010–2011), S. 75–88, hier S. 77f.
382 Monroe C. Beardsley und W. K. Wimsatt, „The Intentional Fallacy“, in SR 54/3 (1946),
S.Â
468–488. Für eine frühere Fassung siehe etwa auch: Monroe C. Beardsley, „Intention“,
in Dictionary of World Literature: Criticism, Forms, Technique, hrsg. von Joseph T. Shipley,
New York 1924, S. 229–233. Für die erwähnten Nachdrucke siehe meine nachgestellte
Literaturliste. Zu Beardsleys Vertrautheit mit Hanslicks VMS-Traktat vgl.: Monroe
C.Â
Beardsley und W.Â
K. Wimsatt, „The Affective Fallacy“, in SR 57/1 (1949), S.Â
31–55, hier
S. 31; Monroe C. Beardsley, Aesthetics From Classical Greece to the Present: A Short History,
Alabama 1966, S. 363f.
383 Für die extensive Geschichte und graduelle Ablösung dieser kritischen Auffassung siehe
etwa auch: Noël Carroll, „Anglo-American Aesthetics and Contemporary Criticism:
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423