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2.3. Legendenbildung: die absolute Ästhetik Hanslicks
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der Inhalt der Poesie in Silbenreihen, der von Gemälden und Skulpturen in
Farbe und Leinewand, in Marmor und Bronze.“429 Man kann sofort sehen, dass
hier eine elementare methodische Bestimmung von Hanslicks VMS-Traktat
geradezu ignoriert, dieser folglich verzerrt und bewusst absolut gesetzt wird,
um die eigene theoretische Grundhaltung kontrastreich darzustellen.430
Wie Dahlhaus korrekt anführt, ist der Vorwurf der ‚einseitigen‘ Ausrich-
tung des ästhetischen Formalismus übertrieben, da er diese selbst betone: Es
sei dabei nicht von sämtlichen Wirkungen der Kunst die Rede, sondern analog
Hanslicks Konzeption „vom spezifisch Artifiziellen, von dem also, was Kunst
von Nicht-Kunst und die eine Kunst von der anderen unterscheidet“.431 Dies
heißt zwar nicht, dass man den – für mich durchaus prekären (Kap. 5.1) – uni-
versalen Kunstbegriff, der sämtliche Gattungen zugleich umfasst, nicht vertre-
ten dürfe. Man kann ihn aber keinesfalls retrospektiv auf Hanslicks VMS-Trak-
tat projizieren, zumal dessen definierter Bezugsrahmen hierdurch gesprengt
wird. Dies wird bei der analytischen Kunsttheorie besonders auff allend, die
oft eine holistische Auffassung favorisiert, aus deren universaler Perspektive
Hanslicks Argument limitiert scheinen muss: Wenn Francis Sparshott etwa
unter ‚aesthetics of music‘ eine philosophische Grundreflexion auf „the place
of music in human life and its relevance to an understanding of human nature“
versteht, so ist das eine relevante Thematik, die Hanslicks VMS-Traktat aber
innerhalb mehrerer Disziplinen – Anthropologie, Soziologie, Ontologie etc. –
lokalisiert hätte.432 Auch Eppersons Definition der Musikästhetik, die die „phi-
losophical, psychological, and sociological significance of the art“ in sich fassen
müsse,433 und der Begriff von Ästhetik bei Thomas Munro als „the theoretical
study of the arts and related types of behavior and experience“434 sind legitime
429 Hermann Kretzschmar, Gesammelte Aufsätze über Musik und Anderes, hrsg. von Alfred
Heuß, Leipzig 1910–1911, Bd. 2, S. 171. Für mehrere ähnliche Argumente siehe etwa
auch: Ludwig Eckardt, Vorschule der Aesthetik. Zwanzig Vorträge, Karlsruhe 1864–1865,
Bd. 2, S. 15; Eduard Krüger, System der Tonkunst, Leipzig 1866, S. 63; Gerhard Gietmann
und Johannes Sörensen, Kunstlehre, Freiburg 1899–1903, Bd. 3, S. 7; Stieglitz, Einführung
Musikästhetik (wie Anm. 102), S. 67.
430 Für moderne Beispiele dieses geläufigen Vorgehens siehe etwa auch Kap. 3.5. Kretz-
schmars Textpassage wurde bereits früher direkt kritisiert: Tibor Kneif, „Musikalische
Hermeneutik, musikalische Semiotik“, in Beiträge zur musikalischen Hermeneutik, hrsg. von
Carl Dahlhaus, Regensburg 1975, S. 63–71, hier S. 65; Rainer Bunkelmann, Hermeneutik
in Musikästhetik und Musikpädagogik im zwanzigsten Jahrhundert, Regensburg 1992, S. 28.
431 Dahlhaus, Grundlagen Musikgeschichte (wie Anm. 27), S. 203.
432 Francis E. Sparshott, „Aesthetics of Music“, in New Grove, London 1980, Bd. 1, S. 120–
134, hier S. 120.
433 Gordon Epperson, The Musical Symbol: An Exploration in Aesthetics, Ames 1967, S. V.
434 Thomas Munro, „Recent Developments in Aesthetics in America“, in JAC 23/2 (1964),
S. 251–260, hier S. 251.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423