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4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte, Vertreter
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die Hanslick striktest ablehnt.982 Oder auch die bereits weniger augenfÀllige
Gegebenheit, dass Kants Kritik im Hinblick auf das reflektierende Geschmacks-
urteil eine mehr oder weniger exklusive ErklÀrung der Àsthetischen Wahrneh-
mung der schönen Natur darstellt. Diese fehlt in Hanslicks Vorhaben einer
möglichst objektiven Perspektive auf die musikalische Komposition aber ganz
und gar, da das westliche Tonsystem â auĂer seinen âeinfachsten VerhĂ€ltnis-
se[n] (Dreiklang, harmonische Progression)â â fĂŒr ihn keinerlei natĂŒrliche
Grundlage hat, sondern vielmehr ein kulturelles Erzeugnis ist, das bestÀndige
historische Wandlungen durchlĂ€uft (VMS, S. 147f.). Neben derart Ă€uĂerlichen
GegensĂ€tzen können jedoch primĂ€r zwei fundamentale WidersprĂŒche diagnos-
tiziert werden, welche Kants Lehre substantiell unterlaufen und unzweifelhaft
demonstrieren, dass sie mit Hanslicks VMS-Traktat letztendlich unvertrÀglich
ist. Beide Punkte rekurrieren auf methodische Grundfragen, die sich daraus
ableiten, dass Kants Kritik ein ideales Beispiel fĂŒr theoretische Ansatzpunkte
reprĂ€sentiert, die man als âidealistische SystemĂ€sthetikâ bezeichnen könnte,
womit hier eine Àsthetische Konzeption erfasst werden soll, die mit einem
gesamtheitlichen philosophischen GedankengebÀude zwingend verwoben ist,
das der âreinenâ Ăsthetik mancherlei strukturelle Bedingungen abverlangt.
Die Kantâsche Urteilskritik ist die BrĂŒcke von der Kritik der reinen Ver-
nunft (1781) zur Kritik der praktischen Vernunft (1788), soll also alle drei âoberen
ErkenntniĂvermögenâ (Verstand, Vernunft, Urteilskraft) miteinander kombi-
nieren983 und muss wegen dieser Zielsetzung bestimmte moralische und episte-
mologische Voraussetzungen obligat erfĂŒllen. FĂŒr Hanslick war â wie bereits
gezeigt (Kap.Â
3.5) â die philosophische EinschrĂ€nkung der fĂŒr ihn grund legend
autonomen Disziplin âĂsthetikâ durch vorab definierte GrundsĂ€tze ein absolut
falsches Verfahren fĂŒr eine neue, objektiv verfasste Kunsttheorie. Wie er in der
zweiten Auflage besonders plastisch formuliert, ist die âknechtische AbhĂ€n-
gigkeit der Special-Aesthetiken von dem obersten metaphysischen Princip
einer allgemeinen Aesthetikâ langsam gewichen und hat dem fĂŒr ihn korrek-
ten Standpunkt, dass âjede Kunst in ihren eigenen technischen Bestimmun-
gen gekannt, aus sich sebst [sic] heraus begriffen sein willâ, schlieĂlich Priori-
982 Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm.Â
40), S.Â
223 (§53, A328). Wie man hier eine identische
Ausrichtung von Hanslicks VMS-Traktat und Kants Lehre finden konnte, ist mir schwer-
lich einsichtig, wurde jedoch durch Small, Musicking (wie Anm.Â
526), S.Â
135 und Caroline
Torra-Mattenklott, âMusik als Sprache der Leidenschaften. Literatur und MusikĂ€sthetik
zwischen 1740 und 1800â, in Handbuch Literatur & Musik, hrsg. von Nicola Gess, Alexan-
der Honold und Sina DellâAnno, Berlin/Boston 2017, S. 324â337, hier S. 333f., dessen
ungeachtet konstruiert.
983 Kant, Kritik der Urteilskraft (wie Anm. 40), S. 485â496 (A195â205). Siehe dazu etwa auch:
Giordanetti, âMusik bei Kantâ (wie Anm. 937), S. 126f.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, MusikĂ€sthetik, Musik und GefĂŒhl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423