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4.2. Hanslick als Feindbild: Bell, Schenker und die âNew Musicologyâ
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diese Termini allerdings unbedacht ausgewÀhlt, da er meist nicht den Formbe-
griff der Musikanalyse, sondern vielmehr das âlogischeâ Konzept der IdentitĂ€t
von Inhalt und Form benutzte, was bei Hanslicks Insistieren auf dem spezifisch
Musikalischen zwingend verwirren musste.1101 Die âmusikalischeâ Formkatego-
rie muss aber von Hanslicks Definition der âFormâ als struktureller VerknĂŒpfung
von musikalischen Teilelementen, wie sie bei den âtönend bewegten Formenâ
schlagend geworden ist, konsequent abgegrenzt werden und ist als zusÀtzliche
Qualifikation anzusehen, die Keiler schlicht absolut setzte.1102 Diese Lesart wird
speziell deutlich, wenn Keiler die kritische Position Schenkers zur âtyranny of
mechanical rules and cold logic in favor of the infinite variety of moods, styles
and genresâ zur âvoice of a young composer reacting against the detached for-
malism of Hanslickâs dogmaâ erklĂ€rt.1103 Diese Stelle offenbart ungewollt, dass
hier nur ein fĂŒr Keilers Ansicht nĂŒtzliches VerstĂ€ndnis von Hanslicks Argument
vorwaltet, das als negativer Modellfall âdesâ musikalischen Formalismus gilt und
das mit den faktischen Aussagen Hanslicks keinesfalls kompatibel ist. Denn die-
ser stellte hierzu explizit fest:
Das Componieren ist ein Arbeiten des Geistes in geistfÀhigem Material. Wie
reichhaltig wir dieses musikalische Material befunden haben, so elastisch und
durchdringbar erweist es sich fĂŒr die kĂŒnstlerische Phantasie. Diese baut nicht
wie der Architekt auf rohem, schwerfÀlligem Gestein, sondern auf der Nach-
wirkung vorher verklungener Töne. Geistigerer, feinerer Natur, als jeder andre
Kunststoff nehmen die Töne willig jedwede Idee des KĂŒnstlers in sich auf. Da
nun die Tonverbindungen, in deren VerhÀltnissen das musikalisch Schöne ruht,
nicht durch mechanisches Aneinanderreihen, sondern durch freies Schaffen der
Phantasie gewonnen werden, so prĂ€gt sich die geistige Kraft und EigenthĂŒm-
lichkeit dieser bestimmten Phantasie dem Erzeugnià als Charakter auf. Schöp-
fung eines denkenden und fĂŒhlenden Geistes hat demnach eine musikalische
Composition in hohem Grade die FĂ€higkeit, selbst geist- und gefĂŒhlvoll zu sein.
Diesen geistigen Gehalt werden wir in jedem musikalischen Kunstwerk for-
dern, doch darf er in kein andres Moment desselben verlegt werden, als in die
Tonbildungen selbst (VMS, S. 79f.).
Keilers Lesart von Hanslicks Argument belegt dessen funktionale Bedeutung
fĂŒr die anglophone Musikdebatte, indem dieser als zweckgerichtete Projek-
tionsflÀche eines theoretischen Standpunkts herangezogen wird, den Hans-
1101 FĂŒr ein entsprechendes Missverstehen, das aus der ungeschickt verwendeten Begrifflich-
keit folgt, siehe etwa auch: Abegg, Eduard Hanslick (wie Anm. 41), S. 50f.
1102 FĂŒr die Hanslickâsche Unterscheidung, die man als theoretischen âconformationalâ und
als speziellen âgenerativeâ Formbegriff fassen könnte, vgl.: Bonds, Wordless Rhetoric (wie
Anm. 651), S. 1â30.
1103 Keiler, âSchenkerâs Thoughtâ (wie Anm. 1096), S. 287.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, MusikĂ€sthetik, Musik und GefĂŒhl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die âidealistischeâ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die âösterreichischeâ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang â Hanslicks âtönend bewegte Form[en]â 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik â Ăsthetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ăbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone MusikÀsthetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ăbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang â Hanslickâsche Rezensionen in Dwightâs Journal of Music 176
- 4. Was ist Ă€sthetischer Formalismus? â Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- AbkĂŒrzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423