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4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte, Vertreter
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lick niemals verfocht. Denn gegen dessen ‚detached formalism‘ wäre dann
auch Schenker eine progressive Alternative, da er Hanslicks ‚Pamphlet‘ im
‚Geist‘-Essay entschieden abgewiesen hätte. Cook erwähnt jedoch bereits, dass
Keilers Ansicht bei exakter Lektüre von Hanslicks VMS-Traktat ins Leere lau-
fe: „Keiler is right, then, in characterising Schenker as an ‚anti-formalist‘, but
only in a sense that makes Hanslick an antiformalist too.“1104 Derartige Ein-
wände konnten jedoch Vertreter der postmodernen Musikwissenschaft nicht
daran hindern, Hanslick als negativen Musterfall der ‚Old Musicology‘ auf-
zufassen, was die Hanslick-Rezeption im englischen Sprachraum tiefgreifend
beeinflusste. In Bezug auf Kerman, der bei „A Profile for American Musicolo-
gy“ einen neuen „music criticism“ andachte,1105 den Treitler als „dialogue […]
about the need for criticism in history and the case for history in criticism“
verstand,1106 ist das durchaus einsichtig. Denn Kerman konnte bei seiner kriti-
schen Evaluation der objektiven Musikanalyse, des organischen Musikmodells
und der antiquarischen Musikforschung, die auf das Jahr 1965 datiert, keine
differenzierte Unterscheidung zwischen einzelnen Vertretern des für ihn ver-
alteten Paradigmas ausführen.1107 Wenn dieser später „analysis“ als den „es-
sentially formalist type of criticism“ definiert, der mit „internal musical rela-
tions in technical language“ umgehe, muss aber eigentlich umgehend klar sein,
dass eine derartige Kategorie die objektive Ästhetik Hanslicks nicht trifft.1108
Dieser Grund für die typologische Interpretation von Hanslicks VMS-Trak-
tat war aber etwa 30 Jahre später nicht mehr faktisch gegeben, als Kerman die
durchgreifende Neuorientierung der amerikanischen Musikwissenschaft her-
vorgehoben hat, die nun radikale Methoden umfasse (Feminismus, Ideologie-
kritik, Poststrukturalismus) und mit jungen Forschern wie Abbate, McClary
und Kramer um das Jahr 1990 gründlich vollzogen sei.1109
Doch auch die allmähliche Installation dieses neuen Paradigmas führte
keine gewandelte Bewertung Hanslicks herbei, der ein opportunes Gegenmo-
dell zur postmodernen Musikwissenschaft war. Da die ‚New Musicology‘ –
1104 Cook, Schenker Project (wie Anm. 33), S. 58.
1105 Joseph Kerman, „A Profile for American Musicology“, in JAMS 18/1 (1965), S. 61–69.
1106 Leo Treitler, „Music Analysis in a Historical Context“, in CMS 6 (1966), S. 75–88, hier
S. 75.
1107 Kermans Terminus ‚criticism‘ war jedoch überaus ungenau gefasst. Vgl.: Edward E.
Lowinsky, „Character and Purposes of American Musicology: A Reply to Joseph Ker-
man“, in JAMS 18/2 (1965), S. 222–234; Calella, „Was übrig bleibt“ (wie Anm. 815),
S. 83–85.
1108 Kerman, „Critics and Classics“ (wie Anm. 1085), S. 53.
1109 Joseph Kerman, „American Musicology in the 1990s“, in JM 9/2 (1991), S. 131–144, hier
S. 142. Kermans Beispiele sind hier etwa: Abbate, Unsung Voices (wie Anm. 1059);
McClary, Feminine Endings (wie Anm. 1043); Kramer, Cultural Practice (wie Anm. 774).
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423