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5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption
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Zusammenhängen allgemein verbreitet wurde. Wie Rinderle prägnant
beschreibt, sind expressive Merkmale von ‚reiner‘ Musik in dieser Theorie an
das rezeptive Erfassen einer fiktiven ‚persona‘ gebunden: „Ein Musikstück wird
auf diese Weise als eine expressive Geste dieser Person erfahren, die in der Ima-
gination des Hörers entsteht, indem dieser sie in einem Musikstück entdeckt.“1286
Trivedis Konzept von musikalischer Expressivität als affektiver Äußerung einer
„make-believe musical persona“1287 illustriert, weshalb derartige theoretische
Ansatzpunkte für die von mir erörterte Thematik unwichtig sind, denn ‚reine‘
Musik ist für ihn nur „make-believedly sad […] it is imagined by the listen er to
be sad“.1288 Die subjektive Wesensart (fictive, imaginary, make-believe) dieser
Methode legt klar, dass hier eine vielleicht passende Erklärung der emotio-
nalen Wahrnehmung ausgearbeitet wird, aber keinerlei objektive Explikation
der materialen Expressivität stattfindet. Dass demnach beliebige Gefühle auf die
musikalische Komposition geradezu projiziert werden, der gleiche Hörer bei
demselben Musikstück zu wechselnden Zeitpunkten also verschiedene Affekt-
gehalte wahrnehmen kann, wird dann auch in Trivedis Entwurf ausdrücklich
zugestanden.1289 Die ‚persona theory‘ stellt somit einen psychologisch unter-
mauerten Erklärungsversuch des emotionalen Musikhörens dar, der zur objek-
tiven Ausrichtung von Hanslicks VMS-Traktat schlicht konträr ist, was den
Verzicht auf die Analyse dieser Theorie methodisch rechtfertigt.1290
1286 Rinderle, Expressivität (wie Anm. 674), S. 118f. Vgl.: ders., „Theorien der musikalischen
Expressivität“, in PR 53/3 (2006), S. 204–235, hier S. 220–232.
1287 Für den Make-Believe-Zugang siehe hier etwa Kendall L. Walton, „What is Abstract
About the Art of Music?“, in JAC 46/3 (1988), S. 351–364 und „Listening Imagination“
(wie Anm. 1016), oder auch Malcolm Budd, „Music and the Communication of Emo-
tion“, in JAC 74/2 (1989), S. 129–138 und „Music and the Expression of Emotion“, in JAE
23/3 (1989), S. 19–29.
1288 Saam Trivedi, „Expressiveness as a Property of the Music Itself“, in JAC 59/4 (2001),
S.Â
411–420, hier S.Â
411 und 419. Vgl.: ders., „The Funerary Sadness of Mahler’s Music“, in
Imagination, Philosophy, and the Arts, hrsg. von Matthew Kieran und Dominic McIver
Lopes, London/New York 2003, S. 259–271; ders., „Imagination, Music, and the Emo-
tions“, in RIP 238 (2006), S. 415–435.
1289 Trivedi, „Funerary Sadness“ (wie Anm. 1288), S. 266.
1290 Zur Kritik der ‚persona theory‘ vergleiche besonders Arbeiten von Davies und Kivy:
Davies, „Contra the Hypothetical Persona in Music“, in Hjort/Laver, Emotion and Arts
(wie Anm. 544), S. 95–109; „Philosophical Perspectives on Music’s Expressiveness“, in
Music and Emotion: Theory and Research, hrsg. von Patrik N. Juslin und John A. Sloboda,
Oxford/New York 2001, S. 23–44; „Artistic Expression and the Hard Case of Pure
Music“, in Contemporary Debates in Aesthetics and the Philosophy of Art, hrsg. von Matthew
Kieran, Malden/Oxford 2006, S. 179–191; Kivy, Sound Sentiment (wie Anm. 414), S. 177–
209; New Essays (wie Anm. 399), S. 92–118; Introduction to Philosophy (wie Anm. 356),
S.Â
113–119; „Critical Study: Deeper than Emotion“, in BJA 46/3 (2006), S.Â
287–311; Ancient
Quarrel (wie Anm. 5), S. 101–175.
Re-Reading Hanslick's Aesheticts
Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Titel
- Re-Reading Hanslick's Aesheticts
- Untertitel
- Die Rezeption Eduard Hanslicks im englischen Sprachraum und ihre diskursiven Grundlagen
- Autor
- Alexander Wilfing
- Verlag
- Hollitzer Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-99012-526-7
- Abmessungen
- 16.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 434
- Schlagwörter
- Eduard Hanslick, Formalismus, Musikästhetik, Musik und Gefühl, Emotionstheorie, analytische Philosophie, New Musicology, Immanuel Kant, Peter Kivy, Stephen Davies, Edmund Gurney, Adam Smith
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 7
- Vorwort und Inhalte 9
- 1. Tendenzen und historische Entwicklung der Hanslick-Forschung 17
- 1.1. Die historische Forschung zu Hanslicks VMS-Traktat 20
- 1.2. Hanslick und die ‚idealistische‘ Philosophie 25
- 1.3. Hanslick und die ‚österreichische‘ Philosophie 35
- 1.4. Die soziokulturelle Kontextualisierung von Hanslicks VMS-Traktat 48
- 1.5. Die bisherige Forschung zur historischen Hanslick-Rezeption 62
- 1.6. Anhang – Hanslicks „tönend bewegte Form[en]“ 75
- 2. These und Exkurs: Hanslick Methodik – Ästhetik versus Kritik 83
- 3. Die historische Entwicklung der anglophonen Hanslick-Rezeption 117
- 3.1. Die erste englische Ãœbersetzung von Hanslicks VMS-Traktat 120
- 3.2. Erste Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Differente Hanslick- Diskurse 125
- 3.3. Die anglophone Musikästhetik im 18. Jahrhundert: Beattie und Smith 136
- 3.4. Zweite Konsequenz aus Poles Ãœbersetzung: Gurneys Power of Sound 146
- 3.5. The Beautiful in Music (1891) und On the Musically Beautiful (1986) 159
- 3.6. Anhang – Hanslick’sche Rezensionen in Dwight’s Journal of Music 176
- 4. Was ist ästhetischer Formalismus? – Definition, Geschichte,Vertreter 179
- 5. Hanslick und die analytische Philosophie: eine produktive Rezeption 253
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis 329
- Quellentexte (Deutsch) 329
- Quellentexte (Englisch) 332
- Forschungsliteratur 333
- Namensindex 423