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LÖSCH, 20. DEZEMBER 1853 143
teresse ist, gehören sie dem Bürger- sowenig als irgendeinem andern, es sei
denn dem 4. Stande an.
Wenn der Sohn eines Bürgers vom Taglohn lebt, sich durch Fabriksarbeit
das tägliche Brot für sich und seine Familie erwirbt, gehört er noch zum Bür-
gerstand? Ich denke, er ist ein Proletarier wie andre dieses Erwerbs. Und
was ist der Regierungsarbeiter, der uniformierte Staatsbeamte? Wohl auch
nur ein uniformierter, weit hochmütigerer und gefährlicherer – Proletarier!
Ist da noch der Beweis der Unnatur unsrer Zustände schwer zu führen?
Der Besitz an liegenden Gründen und Kapitalien, also Gewerbe, Industrie,
Handel, die Arbeit überhaupt, haben das erste und einzige Interesse am Be-
stand, der Ordnung und Wohlfahrt des Staates, sie leiden allein, wenn das
Gegenteil eintritt, und sie stehen fern, ja werden systematisch fern gehalten.
Und Proletarier, die nur das Interesse des Lebenserwerbs kennen, die heute
einem Monarchen aus der legitimen Herrscherfamilie, morgen dem nächsten
besten Usurpator oder Eroberer dienen, denen Kaiser oder Präsident gleich-
gültig sein muss, da sie dienen, um zu leben, und demjenigen arbeiten müs-
sen, der sie dafür bezahlt, haben das Ruder des Staatsschiffs in der Hand!
– Genügt dies, die Unnatur dieser Zustände ins gehörige Licht zu stellen,
so folgt daraus mit mathematischer Gewissheit, dass ihnen die erste Bedin-
gung der Dauer des Lebens fehlt, denn Unnatürliches, also mit den Gesetzen
des Lebens im Widerspruch Stehendes, kann nicht dauernd bestehen.
Angenommen nun, dieser unnatürliche Zustand sei augenblicklich
ein notwendiger und die Politik gerechtfertigt, die ihn für jetzt gleich der
Schiene am gebrochnen Knochen benützt, so ist es doch jene nimmermehr,
die nichts für die Heilung selbst tut, die Ausnahme zur Regel, das künstli-
che Mittel an die Stelle der natürlichen, organischen [Politik] setzt, und die
Schiene nicht eben nur als Schiene angesehen wissen will.
Zugegeben, es sei seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in Österreich
manches wo nicht alles mit einem Ruck aus dem Geleise natürlicher Ent-
wicklung geworfen worden; zugegeben, es habe sich als natürliche Folge hie-
von ein höchst unnatürlicher Geist im Volke entwickelt, der seine nächsten
Interessen nicht mehr erkennt, dem die Kraft und der Mut fehlt, sie selbstän-
dig in die Hand zu nehmen, der [sich] auf jedem Tritt aus Furcht und Indo-
lenz nach Regierungsschutz umsieht und ruft, da die lange Vormundschaft
alle Selbständigkeit gebrochen, allen Mut kastriert, dass sich niemand mehr
auf seinen Füßen zu stehen getraut; zugegeben ferner, dass es sehr schwer
halten dürfte, aus den geeigneten Ständen des Volkes geeignete Personen he-
rauszufinden, befähigt und entschlossen, die Kader für eine künftige natür-
lich organische Verwaltung abzugeben; alles dieses zugegeben, so steht den-
noch unerschütterlich fest, dass dieser Versuch gemacht werden muss, denn
es handelt sich um nichts Geringeres als um den Bestand der Monarchie! –
Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Titel
- Die Tagebücher des Grafen Egbert Belcredi 1850–1894
- Autoren
- Lothar Höbelt
- Johannes Kalwoda
- Herausgeber
- Jiří Malíř
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20067-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 1144
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort und Editionsrichtlinien 7
- Siglen- und Abkürzungsverzeichnis 11
- Lothar Höbelt: Graf Egbert Belcredi – der „echte“ Konservative 15
- Jiří Malíř: Antonín Okáč – Leben und Werk des Herausgebers der
- Tagebücher und Korrespondenz Egbert Belcredis 39
- Bildtafeln 65
- Tagebuchaufzeichnungen 73
- 1850 75
- 1851 91
- 1852 104
- 1853 126
- 1854 145
- 1855 156
- 1856 170
- 1857 182
- 1858 189
- 1859 193
- 1860 195
- 1862 199
- 1863 212
- 1864 223
- 1865 255
- 1866 262
- 1867 307
- 1868 339
- 1869 353
- 1870 355
- 1871 356
- 1872 367
- 1873 375
- 1874 384
- 1875 400
- 1876 449
- 1877 497
- 1878 504
- 1879 530
- 1880 565
- 1881 589
- 1882 611
- 1883 653
- 1884 700
- 1885 728
- 1886 770
- 1887 793
- 1888 838
- 1889 881
- 1890 905
- 1891 945
- 1892 979
- 1893 1016
- 1894 1042
- Anhang 1059
- Anhang 1: Promemoria Graf Egbert Belcredis: Ideen zu einer
- Reform des Adels 1059
- Anhang 2: Promemoria Egbert Belcredis [zum Vaterland] 1067
- Anhang 3: Promemoria Graf Egbert Belcredis für den Brünner
- Bischof Franz Bauer 1074
- Wiederkehrende Wörter und Wendungen 1079
- Tschechisch 1079
- Lateinisch 1081
- Ortsnamenkonkordanz 1082
- Deutsch – Tschechisch 1082
- Tschechisch – Deutsch 1086
- Literatur und Nachschlagewerke 1091
- Namensregister (Auswahl) 1115