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14 Einleitung
lung einzelner Staaten und Provinzen bedienen sich noch immer lieber aus den
„Erkenntnissen“ vergangener Tage, als diese Vielschichtigkeit zu berücksichtigen.10
Ein Walliser Geschichtswerk schrieb noch 1987, dass „[…] unser Walliser Blut
fast keine burgundischen Spuren […]“ enthält.11 Und in einer Broschüre über den
sogenannten Pongauer Dom in St. Johann in Salzburg finden sich an erster Stelle
der „Pfarrgeschichte“ die Worte „[…] um 500 : Die einströmenden heidnischen
Baiern germanisieren die verbliebenen Romanen“. Solche Werke erreichen leider
die meisten Menschen, obwohl sie genau das Bild wiederholen, das die heute über-
wundene nationalistische „Forschung“ vor mehr als 60 Jahren geprägt hatte und in
der Mehrheit der Bevölkerung offenbar noch heute tief verankert ist.
Aber auch wissenschaftliche Überblickswerke verallgemeinern gelegentlich in
diesem Sinne, ohne sich des nationalistischen Hintergrundes bewusst zu sein. So
schreibt Heinz Veit (2002) in seinem (naturwissenschaftlichen) Buch „Die Alpen“
für die Zeit vor dem 8. Jh.: „In die schwach besiedelten Gebiete drangen gegen
Ende des 6. Jahrhunderts von Osten Slawen und von Norden und Nordwesten Ba-
juwaren und Alemannen ein. In den südlichen Tälern wanderten die Italiener ein
[…].“ Werner Bätzing konstruiert in seinem Überblickswerk für das hohe Mittel-
alter und später gar einen „germanischen“ und einen „romanischen“ Bewirtschaf-
tungs- und Besiedlungstyp.12 Für diese schwer zu belegende Konstruktion wurde
er allerdings stark kritisiert. Auch Ludwig Pauli schreibt in seinem Werk „Die Al-
pen in Frühzeit und Mittelalter“ über das Ende der Völkerwanderungszeit : „Damit
war im wesentlichen die Verteilung der Völker, Stämme und auch Sprachen im
Alpenraum erreicht, wie sie heute noch besteht“13, obwohl in den zentralen Alpen
noch bis in die Neuzeit hinein überwiegend romanische Dialekte und in den Ost-
alpen vorwiegend slawisch gesprochen wurde.
Die moderne Frühmittelalterforschung betont die Künstlichkeit solcher Konstruk-
tionen immer wieder.14 Der Großteil der Historiker, die heute über die Alpen schrei-
10 Besonders in Österreich und Slowenien, zu diesem Problem z. B. Štih, Suche nach der Geschichte
und Die Nationswerdung der Slowenen 365 ff.; Über die idealisierte Darstellung der Räter als „Vor-
fahren“ der heutigen Tiroler : Truschnegg, Antike Berichte Antike Berichte über die Alpenbewohner
58 ff. Im Gegensatz dazu dienten noch 1991 die antiken Salasser M. Vacchina (Civilisation Alpestre
et autonomie en Vallee d’Aoste 219 ff.) als Folie, um die modernen Autonomiebestrebungen zu un-
termauern und eine Identität zu schaffen : „Ce sont les classiques, qui nous aident à découvrir notre
identité“.
11 Zermatten, Walliser Geschichte 75.
12 Bätzing, Alpen 57 und 60.
13 Pauli, Alpen 71.
14 Grundsätzlich zu „Ethnogenese“ und zu den Problemen der Begriffsdefinition in diesem Bereich :
Wolfram/Pohl (Hg.), Typen der Ethnogenese ; Geary, Europäische Völker im frühen Mittelalter ;
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361