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178 Menschen in den Alpen
allem in den Tälern entlang der Verkehrsrouten.28 Nur ein Tal weiter, im Engadin,
kann man keine einzige spätantike Kirche nachweisen. Der ebenfalls churrätische
Vinschgau hat mit S. Proculus in Naturns nur eine Kirche die möglicherweise aus
dem 7. Jh. stammt – diese ist dafür inklusive Fresken noch ausgezeichnet erhalten
(siehe Abbildung 13 und Abbildung 21 auf S. 179 und S. 277).
Ältere christliche Bauten wurden hier bislang noch nicht gefunden. Erst in karo-
lingischer Zeit ändert sich das Bild.29 Es scheint kaum denkbar, dass der mächtige
Bischof von Chur in diesen Tälern Heidentum toleriert hätte, zumindest nicht bei
der lokalen Oberschicht. Viel wahrscheinlicher ist, dass in manchen Tälern eine
günstige Überlieferungslage herrschte, die nur einige dutzend Kilometer weiter
östlich schon nicht mehr zutraf.
In den östlichen Zentralalpen gibt es eine ähnliche Fundsituation. Im Inntal, das
größtenteils von Säben betreut wurde, fand man einige sehr alte Kirchen. Insge-
samt sechs spätantike Kirchen finden sich im Raum Innsbruck und westlich davon
(Wilten, Ampass, Thaur, Pfaffenhofen, Imst, Zirl/Martinsbühel). Einige weitere
können in das 7. und frühe 8. Jh. datiert werden, so etwa Zell bei Kufstein, die in
der Zeit von 650 bis 680 erbaut wurde, oder die Kirche bei Oberlangkampfen, die
ebenfalls aus dem Ende des 7. Jh. stammt. Im Unterinntal hingegen wird mangels
älterer Funde die Frage gestellt, ob der Raum in der Spätantike überhaupt christi-
anisiert war.30 I. Heitmeier führt diese Quellenlücke im Unterinntal auf den Pletz-
ach-Bergsturz bei Brixlegg zurück, der zwischen den Jahren 130 und 320 stattfand
und damit das Tal zweiteilte.31
Noch weiter im Osten gibt es wiederum einen großen Unterschied zwischen
nahe beieinanderliegenden Tälern. Während südlich des Alpenhauptkammes ein
durchgehendes Netz an spätantiken Bistümern und Kirchen besteht, konnte in
den großen Talräumen der nordöstlichen Alpen bislang keine einzige frühchrist-
28 Das Vorderrheintal um Disentis wurde erst mit der Gründung des Klosters im 8. Jh. erschlossen (s.
u.).
29 Kaiser, Churrätien 89 ff.; Sennhauser, Frühchristliche und frühmittelalterliche Bauten in der Diözese
Chur 9 ff.
30 Sydow, Früher Kirchenbau 223 ff.; Heitmeier, Inntal 276 ff. Die frühmittelalterlichen Kirchen aus
Holz konnten mittels C14 Methode datiert werden.
31 Heitmeier, Die frühe Kirchenbauten 838. Die durch den Bergsturz bewirkte Zweiteilung des Tales
hätte die Organisationsstruktur so nachhaltig verändert, dass hier im frühen Mittelalter aufgrund der
deshalb ausgeprägten Grenze zum westlichen Teil des Inntales eine Neuorganisation aus dem bai-
rischen Voralpenraum heraus entstehen konnte, der sogenannte „pagus inter valles“. Die Kirchen-
struktur dieses Tales wäre demnach rein frühmittelalterlich-bairisch und wiese nicht auf spätantike
Wurzeln.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361