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Bevölkerung 293
angebracht (s. u.). Es wird auch im nördlichen Voralpenraum immer klarer, wie
stark sich die einheimische Bevölkerung und damit spätantike Traditionen an eini-
gen Orten, vor allem in den Städten, wie etwa Augsburg, doch halten konnte. Die
Archäologie entwickelte erst in den letzten Jahren Methoden, um Gräber und
Bauten besser zuzuordnen und datieren zu können. So wird deutlich, wie sich die
alteingesessene Bevölkerung an die Moden der neuen Herrscher anpasste. Umge-
kehrt übernahmen die Goten und Langobarden in Italien nicht nur die römischen
Bekleidungssitten : „Romanus miser imitatur Gothum et utilis Gothus imitatur
Romanum“703. Gelegentlich nehmen manche Forscher aufgrund der Ortsnamen
an, dass die keltische Sprache in einigen Winkeln des östlichen Alpenraumes noch
bis ins frühe Mittelalter lebendig war.704 Dies ist natürlich kaum zu beweisen, aber
durchaus denkbar. Auch in Teilen Galliens wurde offenbar im 5. Jh. noch bzw.
wieder keltisch gesprochen.705
Oft wurde versucht, die hypothetische „Landnahme“ mit einigen typisch alpi-
nen Sagen zu verknüpfen. Diese berichten von geheimnisvollen Wesen, die in Pa-
rallelwelten im Hochgebirge wohnten. Diese geheimnisvollen Feen oder Zwerge
bringen dabei den Menschen die Geheimnisse der Almwirtschaft oder Vorkom-
men von Bodenschätzen bei. Im Zentral- und Ostalpenraum dachte daher vor
allem die ältere Wissenschaft daran, dass mit diesen Zwergen und Feen die roma-
nische „Alt“-Bevölkerung gemeint war, die sich vor den einwandernden Baiern ins
Gebirge zurückgezogen haben soll.706 Das bekannteste Beispiel so einer Sage ist
wohl die Legende des Laurin, ein im Gebirge hausender Zwergenkönig aus dem
Dietrichslied.
Allerdings ist diese These aus mehreren Gründen abzulehnen. Erstens gibt es
genügend andere Interpretationen. Solche Sagen kommen auch in den Westalpen
vor, wo sich aus der keltischen und römischen Bevölkerung relativ bruchlos die
mittelalterliche entwickelte. Der Kern dürfte daher wesentlich älter sein. Vielleicht
ist er einfach auf die Abgelegenheit einiger alpiner Gebiete zurückzuführen, wo die
Isolation die dort lebenden Menschen deutlich von den Bewohnern und Bewoh-
703 Anonymus Vales. 61 ; Rettner, Romanen des 5. und 6. Jahrhunderts in Deutschland 186 f.; Langobar-
dinnen in Italien trugen schon in der zweiten Generation romanische Tracht (i. e. im 7. Jh.). Bierbrauer,
Romanen und Germanen 219. In Doubs am Jura konnte anhand eines Gräberfeldes eine Kontinuität
der Bevölkerung festgestellt werden, obwohl in den jüngeren Gräbern Grabbeigaben, wie etwa ale-
mannische Schwerttypen, gefunden wurden. Manfredi (Hg.), Les derniers Barbares 9 ff.
704 Craffonara, Die Volkhold’sche Schenkungen 140.
705 Wolfram, Die Goten 189.
706 Z. B. in Stadler-Planzer, Geschichte des Landes Uri 42.
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Die Alpen im Frühmittelalter
Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die Alpen im Frühmittelalter
- Subtitle
- Die Geschichte eines Raumes in den Jahren 500 bis 800
- Author
- Katharina Winckler
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78769-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 426
- Keywords
- Alps, Transformation of the Roman World, Early middle Ages, Culture, Economy, Power Structures
- Categories
- Geographie, Land und Leute Bergbücher
Table of contents
- 1: Einleitung 9
- 2 : Naturraum Alpen 22
- Begriffsdefinitionen 22
- Geologie 25
- Böden 27
- Wasser 28
- Naturkatastrophen 30
- Vegetationszonen 32
- Fauna 35
- Einstige Fauna und Flora der Alpen 36
- Das Klima in den Alpen : Gegenwart und Vergangenheit 38
- Das Gebirgsklima 39
- Lokale Faktoren 40
- Trockenes Klima der inneralpinen Täler 44
- Feuchtes Klima der Gebirgsrandlagen 46
- Zusatz : Klimatabelle ausgewählter Orte 48
- Das Klima des Frühmittelalters 49
- Globale Klimarekonstruktion 50
- Das frühmittelalterliche Klima in den Alpen 52
- Auswirkungen auf den Menschen 55
- Zusammenfassung 60
- 3 : Der Zugriff auf die Alpen und Blick von außen 62
- Die Alpen als Grenze 62
- Die Alpen als Mauern Italiens : Literarisches Bild und Realität 62
- Gotenkriege und Franken in den Alpen 72
- Karolinger und Ausblick 81
- Grenzen in den Alpen 83
- Konzept 83
- Grenzorganisation in den Alpen 87
- Bergwächter und militante Einheimische 87
- Befestigungen 90
- Slawisch-Awarische Grenzstrukturen Wahrnehmung der Alpen im Frühmittelalter : Furchtbares Gebirge, von den 95
- Römern bis Heinrich IV 100
- Zusammenfassung 110
- 4 : Über die Alpen : Kommunikation und Verkehrswege 114
- 5 : Menschen in den Alpen 172
- Christentum 172
- Entwicklung des Christentums in den Alpen 173
- Spätantikes und frühmittelalterliches Heidentum 182
- Patrozinien Die alpinen Kirchenprovinzen vom 6. bis zum 8. Jahrhundert : Fluktuation, 184
- Neuorientierung, Untergang 187
- Lokale christliche Topografie im Wandel 193
- Das Christentum in den nördlichen Voralpen –
- Neugründung oder Kontinuität ? 203
- Das Christentum in den Ostalpen – Gekappte Wurzeln ? 207
- Ausblick : Das Christentum im Alpenraum unter den Karolingern 217
- Klöster in den Alpen 219
- Westalpen 223
- Zentralalpen 224
- Alemannisches und bairisches Voralpenland 228
- Ostalpen 230
- Besiedlung 235
- Zentren 236
- „Stadt“ : Konzept und Begriffe 236
- Evolution der Städtischen Zentren im frühen Mittelalter 239
- Höhensiedlungen und Burgen 249
- Ländliche Siedlungen und Gutshöfe 254
- Wohnen im Frühmittelalter 259
- Siedlung : Lage und Versorgung 262
- Besiedlungsdichte 265
- Wirtschaft 268
- Alm- und Viehwirtschaft 271
- Ackerbau 279
- „Einöde“ : Sumpf, Wald, Hochgebirge 282
- Bevölkerung 284
- Migration 285
- Zusammenfassung 294
- 6 : Lokale Macht und Herrschaft in den Alpen 299
- 7 : Resümee 344
- 8 : Abbildungen 353
- 9 : Literaturverzeichnis 361