Page - 138 - in »Die Donau ist die Form« - Strom-Diskurse in Texten und Bildern des 19. Jahrhunderts
Image of the Page - 138 -
Text of the Page - 138 -
138 II. Die Feuersäule des Weltverkehrs
Britische und deutsche Perspektiven
Die meisten Donaudampfschifffahrer der ersten Stunde waren Briten. Ihre
Neugier umfasste von den verkehrstechnischen Neuerungen bis zu den politi-
schen und ökonomischen Reformen alle wichtigen materiellen und politischen
Umwälzungen in der Region. Was im Einzelnen als der Zerfall des osmanischen
Reiches und der Zukunft der sich aus seinem Verband lösenden neuen Staaten
beschrieben werden konnte, wurde pauschal unter den Zeitparolen des globalen
Fortschritts verhandelt: »Steam, by land and water, is daily bringing the ends of
the earth into communication with each other [...] thus [...] tending to blend all
mankind in one vast family.« – wie Edmund Spencer formulierte.142 Die Vision,
dass die Dampfschifffahrt die Donauländer (wie die Enden dieser Welt) einander
näher bringe, hatte in der Beschreibung der britischen Reisenden keinen sprach-
lichen und keinen kulturellen Index, trug daher auch keine besondere nationale
Note. Wenn sie sich eines nationalen Themas annahmen, so war es die ungarische
Reformbewegung, folglich hatten viele von ihnen starke Sympathien zu Ungarn,
manche auch zu Serbien.143
Im Gegensatz zu ihnen brachte der deutsche Reiseautor Johann Georg Kohl
der ungarischen Reformbewegung kein unbedingtes Wohlwollen entgegen.144 Die
142 Spencer: Turkey, Russia, the Black Sea, and Circassia. p. 192.
143 Die ungarische Zeitschrift Athenaeum schreibt auch im Jahre 1837: »Die Dampf-
schiffahrt beginnt die Söhne der stolzen Britannia in das verwaiste Ungarnland
zu locken. Es hat schon früher diesen oder jenen hierher verschlagen, und spä-
ter brachte die Anziehungskraft der Pferde mehr daher, aber jetzt verbindet der
Donaufluss Hunnia mit Britannia.« [Übers. E.K.] Im Original: »A gőzhajózás kezdi
az árva Hunniába csőditeni büszke Brittannia fiait. Igaz, már azelőtt is tévedett ide
egyik vagy másik, s később a lovak vonó ereje többet is hozott. De most a Duna
kifolyása köti egybe Hunniát Britanniával.« In: Athenaeum 1837 zit. n. Antalffy: Igy
utaztunk, p. 474.
144 Kohl beruft sich namentlich auf Miss Julia Pardoe, dessen Ungarn-Buch seiner Mei-
nung nach »zu sehr voll Lobes« ist. (Gemeint ist allem Anschein nach das Werk
The City of the Magyar or Hungary and its Institutions 1840, das Kohl im Pesther
Casino vorfand Cf. J. G. Kohl: Hundert Tage auf Reisen in den österreichischen
Staaten. 1842 Bd. III. p. 295.) Dennoch bringt er manchen Aspekten der ungarischen
politischen Kultur ein gerüttetes Maß an Wertschätzung entgegen, so vor allem der
politischen Beredsamkeit (insbesondere v. Kossuth), der scharfen Kritik, die einige
Ungarische Politiker an der Nation übten, vor allem aber dem Beifall, mit dem man
dies aufnahm. Vgl. »Denn es schien mir, daß sie, im Ganzen genommen, ihrer Spra-
che mächtiger sind als wir.« J. G. Kohl: Hundert Tage auf Reisen in den österreichi-
schen Staaten. 1842 Bd. III. p. 230 u. p. 302f.
Open Access © 201x by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
back to the
book »Die Donau ist die Form« - Strom-Diskurse in Texten und Bildern des 19. Jahrhunderts"
Table of contents
- Postmoderne Traditionsentwürfe bei Claudio Magris und Péter Esterházy 11
- Magris: Der Fluss aus dem Wasserhahn 13
- Esterházy: P. E. – c’est moi 15
- Die »Erfindung einer Tradition« 18
- Donau-Schrifttum im 19. Jahrhundert 18
- Geschichte und Natur – Modelle einer Beziehung 23
- Die »Eroberung der Natur« oder eine »friedliche [...] Mission«? 27
- Die Rede über die Donau im 19. Jahrhundert: Majestät im
- Bettlergewand 31
- Ansatzpunkte zu einer Geschichte der Donauregulierung im 19. Jahrhundert 34
- Regulierungsdispositiv und Regulierungsdiskurs 40
- Staat und Regulierung 41
- Regulierungsmacht und Kultivierungsauftrag 41
- Zentralistischer Staat und Verkehrsförderung 44
- Wasserstraße und Eisenbahn – Konkurrenz von Technologien 44
- Gewässerregulierung und Wasserstraßennetz im Habsburgerstaat des 18. Jahrhunderts 45
- Konzepte der Donauregulierung im 19. Jahrhundert 47
- Nachschublinien 52
- Regulierungsvorhaben des 19. Jahrhunderts – Überblick und Fallbeispiele 54
- Die »Verbesserung« der Donaulandschaft im 19. Jahrhundert 54
- Die Donau als Ganzes 55
- Die große Donauregulierung in Wien: Lokales versus Globales 56
- Die große Donauregulierung bei Wien: Vorrang der Interessen der Schifffahrt 57
- Diskussionen um die große Donauregulierung bei Wien 62
- Das Eiserne Tor 64
- Rechtliche Grundlagen 67
- Technische und Finanzierungsschwierigkeiten 70
- Folgen der Regulierung 72
- Zusammenfassung 74
- Reales und Imaginäres 76
- Diskurs(e) und Regulierung 80
- »durch Gehorsam besiegen« 80
- »von der Natur selbst vorgezeichnet« 81
- Die natürliche Wasserstraße, Regulierung als Disziplinierung 82
- Das Paradies der Auwälder 84
- Das ökonomische Moment 87
- Zirkulation 88
- Wasserstraßen, Warenflüsse, Menschenströme 91
- Lebensader der Monarchie 91
- Belebungs- und Störfaktoren 96
- Zusammenfassung 99
- Die Feuersäule des Weltverkehrs 101
- Reisen unter Dampf 103
- Das Dampfschiff 103
- Anfänge der Dampfschifffahrt – »eigentlich sogenannte Dampfschiffe« und Donaudampfschiffe 106
- Die Etablierung der Dampfschifffahrt auf der Donau 116
- Altes und Neues 117
- Die Donau als »Welthandelsstrasse« 120
- Monopole 124
- Zusammenfassung 124
- A Steam Voyage down the Danube 126
- Die Wahrnehmung einer Einheit 127
- Reiseberichte über die ersten Dampfschifffahrten auf der unteren Donau 1835 bis 1845 130
- Britische und deutsche Perspektiven 138
- Annäherung en gros und en détail 140
- Erwartung und Erfahrung 144
- »Watt’s und Fulton’s titanische[.] Erfindung« 148
- Gleiten, Sehen, Panorama 152
- Zusammenfassung 154
- Die Erfindung des Donauraums 155
- Raumsoziologische Begrifflichkeiten 158
- Topologische Modelle 161
- Imaginierte Geografien 162
- Balkanismus und Donauraum 166
- Mitteleuropa und Donauraum 168
- Band zwischen Okzident und Orient 177
- Das Entdeckungsszenario 179
- Todesfluss – Alexander Kinglake 184
- Aus dem Garten in die Wildnis 188
- Zusammenfassung 194
- Die Donau als Landschaft – Sicht und Übersicht 197
- Reisen beschreiben – Beglaubigungsstrategien des Authentischen 200
- Schreiben, Lesen, Reisen – Apodemiken 201
- Das »subjektive« Reisen 203
- Reiseliteratur als Werkstatt und als Fabrik 207
- Reisebewegung, Blicke und Räume 208
- Bürgerliche Reise und Territorium 209
- Donaufahrten auf dem Papier 210
- Das Gebot der Visualisierung 213
- Sehen was nicht (mehr) zu sehen ist 214
- Landschaft als Bild 217
- Natur als Landschaft 218
- Raumbeschreibung und Raumschöpfung in der Literatur 221
- Wandel der Wahrnehmungsstrukturen 223
- Die »malerische Donaureise«. Kanonisierung von Bildserien 225
- Mappenwerke und illustrierte Reisebeschreibungen 229
- Neue Vervielfältigungstechniken – Lithografie, Stahlstich, Fotografie 251
- Prachtbände: Enzyklopädische illustrierte Wanderungen 257
- Reise quer durch das Quellenmaterial 258
- Literatursoziologische Kontexte 261
- Wort und Bild 263
- Das Malerische in der (Reise-)Literatur 265
- Das Gemälde der Natur 266
- Malen im Kopf 268
- Blickregie 269
- Zeichner und Reiseschreiber: Felix Philipp Kanitz 273
- Der bereiste Raum 274
- Die Reise auf dem Papier 276
- Bedeutung von Karten, Bildern und Panoramen 278
- Was die Karte nicht fasst 280
- Die Sichtbarwerdung einer Region 282
- Zusammenfassung 283
- v. Historisierung der Donau-Landschaft 285
- Optische Inszenierung einer historischen Landschaft 287
- Himmelsdom und Ruhmeshalle: Der Blick von der Walhalla 292
- Historische Narrative 298
- Geschichtsfluss, Erzählfluss 298
- Schleifen und Linien in der Zeit 300
- Reise als Form der Geschichte 302
- Geschichte aus der Erdoberfläche 305
- Der geschichtsträchtige Fluss 308
- »Das Alpha und Omega Österreichs« 311
- Rhein – Donau: literarische Parallelen 311
- Der Strom einer deutsch-österreichischen Kulturmission 314
- Historische Donaureisen: Der große Schwabenzug 317
- Die historische Performance der ungarischen
- Milleniumsausstellung 324
- Die Millenniumsfeier 1896 – konfligierende Konzepte 326
- Die Welt als Kulisse in der Millenniumsfeier 330
- Vollzug und Übertragung in der Feier 332
- Landnahme und Landkörper 333
- Nationales Territorium als Echo- und Theaterraum 335
- Inszenierungen der Stromregulierung 1896 336
- Mediale Aufbereitung des Eisernen Tores 337
- Die Eröffnungszeremonie 338
- Auslegungen der Feier 339
- Tausendjahre-Symbolik: Eingemeindung und Ausgrenzung 340
- Tor und Epochenschwelle 342
- Zusammenfassung 343
- Topik und Topographie der Schwelle 345
- Schwellenkunde 346
- Das Eiserne Tor – widersprüchliche Einschreibungen 346
- Topoi der Eisernen-Tor-Regulierung 351
- Die Insel an der Grenze: Ada Kaleh 356
- Das Eiserne Tor als literarische Heterotopie 362
- Raumzeit 365
- Topik der Insel an der Grenze 367
- Eine Insel, zwei Inseln 368
- Die Utopie der Niemandsinsel 369
- Reisen horizontal und vertikal 371
- Navigieren, Steuern, Schreiben 373
- Stromerzählungen 375
- Die Lesbarkeit der Schöpfung 380
- Zirkulation der Zeichen 381
- Gattungsdilemmata der Literaturgeschichte 383
- Navigieren – erzählen 384
- Zusammenfassung 388
- Resumee 389
- Literaturverzeichnis 391
- 1) Quellen 391
- 2) Literarische, philosophische und publizistische Referenztexte 403
- 3) Forschungsliteratur 406
- 4) Nachschlagwerke, Lexika 426
- Abbildungsverzeichnis 427
- Personenregister 430
- Sachregister 439