Page - 26 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Rahmenbedingungen26
maß an freudigen Erlebnissen und Erfahrungen zu Kriegsbeginn in mehrfacher
Hinsicht ein.53
Erstens haben begriffsgeschichtliche Stichproben gezeigt, dass der Begriff „Be-
geisterung“ zur damaligen Zeit nicht nur – wie im heutigen Sprachgebrauch – For-
men des Jubels, der Freude und der Erleichterung subsumierte, sondern auch feste
Zustimmung, Bewegung (im Sinne geistiger Bewegtheit), feste Entschlossenheit,
stillen Ernst, aufopfernde Hingabe oder Erregung bedeuten konnte (= begriffsge-
schichtlicher Faktor).54 Diese begriffsgeschichtlichen Forschungsergebnisse wur-
den von mir aufgegriffen und sie lassen sich für Graz bestätigen.55 Im Grunde stellt
der begriffsgeschichtliche Zugang den zentralen Schlüssel für das Verständnis der
Kriegsbegeisterung dar. Dem ist so, weil der Begriff „Begeisterung“ damals ein
integraler Bestandteil der politischen Sprache war. Wie noch zu zeigen sein wird,
waren sowohl der Begriff „Begeisterung“ als auch der Begriff „Kriegsbegeisterung“
lange vor dem Sarajevoer Attentat vielfach präsent in den (politischen) Grazer
Zeitungen. Greift man kurz vor auf die Kriegsbegeisterung von 1914, so richtete
sich „diese“ Begeisterung nicht auf den Krieg und seinen „Schrecken“ an sich. In
Wirklichkeit richtete sie sich auf die dem Krieg addizierten Erneuerungsmomen-
te.56 Die Forschung brachte diesbezüglich mehrere und zum Teil untereinander
konkurrierende Gründe, weswegen die Menschen damals (in der Sprache von
1914) „begeistert“ sein konnten, zu Tage.57 Meistens war man anscheinend aber
deswegen begeistert, weil – so glaubten viele – der Krieg zu einer verheißungsvoll
erscheinenden neuen Festigung der sozialen Kohäsion innerhalb eines Staats in
Form der jeweiligen Einheitsbildung führen konnte (Gemeint ist hier der Burgfrie-
den und das Beenden diverser gesellschaftlicher Konflikte).58
53 Der folgende simplifizierte Aufriss fußt, sofern nicht anders ausgewiesen, auf: Konrad (2015);
Ziemann (2014) und (2007); Strauß (2014); Stöcker (22014); Katzer (2008); Rettenwander (2005);
Raithel (2007), (1997) und (1996); Winter (2006); Wirsching (2004); Wehler (2003); Horne
(2002); Baker (2001); Verhey (2000); Geinitz (1998); Mommsen (1995); Kruse (1993); Jeismann
(1992).
54 Geinitz (1998), 136; Raithel (1996), 235, des Weiteren auf dem Leitfaden: Krumeich (2014), 30
f.
Vgl. ebenso die damaligen Ausgaben von „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ unter dem
Stichwort „Begeisterung“ [Nicht im Quellenverzeichnis angeführt].
55 Siehe das Kapitel: Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache.
56 Vgl. z. B. Bruendel (2003), 58.
57 Eine dieser Konkurrenzkonstellationen sei genannt: Der Krieg werde das sozialdemokratische
Programm obsolet erscheinen lassen („eine“ konservative Sicht). Der Krieg werde die Sozialde-
mokratie stärken („eine“ sozialdemokratische Sicht).
58 Jeismann (1992), 301, 318.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453