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Zweitens blieb das kriegseuphorische Stimmen- und Stimmungsgeflecht größ-
tenteils auf die Städte und hier vor allem auf die Innenbezirke der Städte be-
schränkt (=
raumgeografischer Faktor). Das gilt auch für den unter anderen histo-
rischen Bedingungen erfolgten „maggio radioso“ („strahlender Mai“) im Rahmen
des italienischen Kriegseintritts (1915). Denn auch dieser „maggio radioso“ wurde
– wie der freudig-unbedenkliche „Hurrapatriotismus“ in Deutschland – primär
von der städtischen Mittelschicht getragen.59 In den Dörfern am Land sowie in
den Kleinstädten beschränkten sich kriegseuphorische Manifestationen zu Kriegs-
beginn weitgehend auf den jeweiligen Bahnhof bzw. auf die Menschenzüge, die
zwischen Marktplatz, Kirche und dem Bahnhof pendelten. Ebenso ausschlagge-
bend für das Zustandekommen von klassischen Jubelstimmungen inklusive des
Singens „patriotischer“ Lieder konnte die Entfernung der Stadt zum Frontverlauf
sein. Dass dem nicht immer so sein musste, zeigt die bereits erwähnte Studie von
Jean-Jaques Becker.60 Becker konnte, wie bereits beschrieben, nachweisen, dass in
vielen Regionen Südfrankreichs (sprich: fernab der klassisch militärischen Front)
die Stimmung unmittelbar vor und nach dem Kriegsausbruch sehr gedrückt war.
Ein Konnex zwischen dem Ausmaß an klassischen Freudenstimmungen und der
Entfernung zur Front ist daher nicht zwingend gegeben. Dennoch fällt auf, dass
vor allem in den grenz- oder frontnahen Regionen sowie in den Hafenstädten di-
verse Invasions- und Deportationsängste die Verbreitung kriegseuphorischer Mo-
mente hemmten.
Innerhalb der Städte konzentrierte sich die zur Schau gestellte oder gelebte
Kriegsbegeisterung im klassischen (d.
h. im freudigen) Sinne auf die Innenbezirke,
den Bahnhof, die Gast- und Kaffeehäuser sowie auf die Plätze vor politisch-mi-
litärischen Bauten. Dabei deuten erste Forschungsbemühungen darauf hin, dass
zum Beispiel in Deutschland bereits während des Kriegs das Bild von einer all-
gemeinen Kriegsbegeisterung von Frauen als vorwiegend städtisches Phänomen
wahrgenommen wurde.61 In den ländlichen Regionen, wo man gerade die Ernte
einbrachte oder diese kurz bevorstand, überwogen – mit Ausnahme der dort an-
sässigen Pfarrer, Landesbeamten, Land- und Tierärzte sowie Gutsherrn – die Sor-
gen über die Kriegseuphorie. Aber selbst auf dem Land kam es auf den Wegstre-
cken zwischen dem Bahnhof und der Kirche oder dem Marktplatz zu Jubelszenen.
Diese freudigen Stimmungen galten, wie gesagt, aber in vielen Fällen nicht dem
Krieg an sich, sondern meistens der ihm addizierten Erneuerungsmomente.
59 Esposito (2011), 119.
60 Becker (1977).
61 Binder (1997), 112.
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book Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße"
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453