Page - 48 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Rahmenbedingungen48
nicht als Quellen herangezogenen wurden, seien lediglich genannt: Tagebücher,
Feldpostbriefe, Inlandsbriefe, Fotografien, Diapositive und Filmmaterial.154
Vierter Methodenstrang: Die Quellen wurden mehrmals chronologisch gelesen.
Bei der Quellenlektüre wurde darauf geachtet, wann und wo bzw. von wem und
wie über den Kriegseinbruch/Kriegsausbruch sowie über die Einheitsbildung (den
Burgfrieden) gesprochen wurde.155 Dabei ließ ich sinnbildlich den damaligen Zeit-
genossen, der nur in eine offene Zukunft blicken konnte – konträr zur Nachwelt,
die den historischen Ausgang kennt156 – „selbst“ den Kriegseinbruch/Kriegsaus-
bruch und den Burgfrieden vor dem Hintergrund wechselnder lokaler und über-
regionaler Gegebenheiten entfalten. Krisen und Ausnahmezustände sind Teil der
Geschichte und weitgehend offen, da ihre Geschwindigkeiten, ihre Abläufe, ihre
Wendepunkte trotz aller Versuche (Erwartungshorizonte, Bewältigungsstrategien
etc.) nur bedingt und oftmals gar nicht kalkulierbar sind. Es macht bekanntlich ei-
nen Unterschied, ob sich der Entwurf von Alltagsszenarien auf das Wissen von ei-
ner oder mehreren Kriegserklärungen stützte.157 Schlussendlich gab es auch nicht
den „einen“ bzw. den einen „einzigen“ Kriegsbeginn. Jeder Mensch schuf sich seine
jeweils eigene Kriegschronologie. Aus österreichisch-ungarischer Diplomatensicht
begann beispielsweise der „Serbienkrieg“ (ein Krieg, der noch kein „Volkskrieg“
war) am 28. Juli 1914. Die unterschiedlichen offiziellen Kriegsauftakte (Kriegser-
klärungen, Abbruch der diplomatischen Beziehungen) waren aber nicht zwangs-
läufig mit den Erfahrungsräumen einzelner Menschen deckungsgleich. Besonders
einschneidend empfand man beispielsweise die Abfahrt der Eisenbahnzüge. Denn
das Abfahren der Züge verdeutlichte (unabhängig davon, ob man im Zug saß oder
ob man am Bahnsteig stand), dass es von nun an kein Zurück mehr gab. Für andere
Menschen hingegen begann der Krieg mit dem Lesen einer einprägsamen Zei-
tungsschlagzeile, mit einem Mobilisierungsplakat oder mit dem Erhalt des Einbe-
rufungsscheins. Im Grunde genommen gab es daher sowohl mehrere staatliche als
auch individuelle Kriegsausbrüche/Kriegseinbrüche, die, wie gesagt, nicht immer
deckungsgleich sein mussten.158 Aus diesem Grund wurde in dieser Arbeit mit-
154 Eine Anlaufstelle hierfür ist die in den 1980er-Jahren von Michael Mitterauer initiierte „Doku-
mentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen“ an der Universität Wien.
155 In loser Anlehnung an die klassische (Harold Dwight) Lasswell-Formel: „Who says what in which
channel to whom with what effect?“ [Nicht im Literaturverzeichnis angeführt].
156 Vgl. dazu erneut: Hanisch (2007), 84; Demandt (32001), 25 f.
157 Eine Chronologie der Kriegserklärungen bietet der Lexikonartikel „Kriegserklärungen“ von Mar-
kus Pöhlmann in: Hirschfeld/Krumeich/Renz (22014), 637–638.
158 Ferner gilt es darauf hinzuweisen, dass man in einigen Regionen der Erde erst Wochen später
erfuhr, dass in Europa ein Krieg ausbrach.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453