Page - 53 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Vier Leitpanoramen | 53
Erstes Leitpanorama: In Graz, der Landeshauptstadt des Herzogtums Steier-
mark, lebten dem formalen Ergebnis der Volkszählung von 1910 zufolge rund
150.000 Menschen.178 Das entspricht ungefähr 10,5 Prozent der steirischen Ge-
samtbevölkerung. Graz hatte somit mehr Einwohner und Einwohnerinnen als die
Städte Linz (67.817), Innsbruck (53.194) und Klagenfurt (28.911) zusammen.179
Im cisleithanischen Vergleich lag Graz hinsichtlich der Einwohnerzahl hinter
Wien, Prag (Praha), Lemberg (Lviv), Triest (Trieste) und Krakau (Kraków) an
sechster Stelle.180 Lenkt man den Blick auf die Größe der einzelnen Wirtschaftssek-
toren, war die Steiermark der letzten vorkriegszeitlichen Berufszählung von 1910
zufolge überwiegend agrarisch geprägt.181 Das gilt sowohl für den Anteil jener
Menschen, die im land- und forstwirtschaftlichen Sektor tätig waren (Berufstä-
tige), als auch für die Zahl jener Menschen, die prinzipiell diesem Sektor zuzu-
rechnen waren (Berufszugehörige).182 In beiden Fällen lag der Anteil bei über 50
Prozent. Beide Werte sind aufgrund der unterschiedlich strukturierten Regionen
der Steiermark nur bedingt aussagekräftig. Für die Stadt Graz ergab die Berufszäh-
lung, dass verhältnismäßig die meisten Menschen dem Sektor „Öffentlicher Dienst,
Freie Berufe, Aktives Militär und Berufslose Selbstständige“ zuzurechnen waren
(37,4 %). Knapp dahinter lag der Anteil jener Grazerinnen und Grazer, die dem
178 Vgl. die zentrale Sozial- und Strukturgeschichte über Graz im ausgehenden 19. und beginnenden
20. Jahrhundert von: Hubbard (1984). Der prägnanteste Aufriss von Graz um 1900 in: Friedrich
(2009a), 23–40 und (2009b), 41–50. Zur Geschichte der Frauen in der Steiermark: Schmidlech-
ner/Ziegerhofer/Sohn-Kronthaler/Sonnleitner/Holzer (2017). Für weitere Abrisse über Graz um
1900 siehe die einzelnen Beiträge des Historischen Jahrbuchs der Stadt Graz 27/28 (1998). Zu-
dem der Bildband von: Hochreiter (2009).
179 Die Ergebnisse der einzelnen Volkszählungen wurden in mehreren Abhandlungen der „Statis-
tischen Monatsschrift“ sowie der „Österreichischen Statistik“ ausgewiesen und problematisiert.
Schwerwiegende Erhebungsschieflagen ergaben sich stets bei der Nationsspalte (Umgangsspra-
che) und der Konfessionsspalte, die der Idee des „Bekenntnisprinzips“ folgten. Ebenso verzerrte
das Hintergehen des Prinzips der „Selbstausfüllung“ die Daten. Ferner musste man sein eigenes
Leben in ein paar Spalten „pressen“. Es versteht sich von selbst, dass Statistiken keine apolitischen
Abbilder der Gesellschaft liefern, sondern je nach Situation einmal mehr, einmal weniger diese
erst (mit)formen.
180 Die acht größten Städte Cisleithaniens waren: Wien (2.031.498), Prag/Praha (223.741), Lemberg/
Lviv (206.113), Triest/Trieste (160.993), Krakau/Kraków (151.866), Graz (151.781), Brünn/Brno
(125.737), Czernowitz/Černivci (87.113). Zahlen nach: Hecke (1913).
181 Die Ausführungen über die Berufssektoren fußen – wenn nicht anders angegeben – auf den
Ergebnissen der Berufszählung von 1910, die u. a. von Eugen von Humbourg im Rahmen der
k. k. statistischen Zentralkommission bearbeitet wurden, vgl. Humbourg (1914). Siehe des Wei-
teren: Urbanitsch (1980), 73–94.
182 Die Gruppe der Berufszugehörigen umfasst daher alle Berufstätigen (z. B. den Bauern) sowie all
die formal nicht berufstätigen Familienmitglieder (z. B. die Kinder des Bauern).
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453