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Vier Leitpanoramen | 59
mäß Raewyn Connell), vielmehr konkurrierten „mehrere Männlichkeitsideale um
Hegemonie“.214 Erst im Krieg erlangte „die idealisierte Verbindung von Männlich-
keit und Militär bzw. militärischen Werten“ in Cisleithanien die über Jahre hinweg
andauernde Hegemonie215, wobei die hegemoniale Geschlechterordnung durchaus
viele kriegsbedingte Transgressionen oder Irritationen kannte.216 Die ambivalente
Militarisierung setzte bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg ein und manifes-
tierte sich unter anderem in der Einführung der allgemeinen Männerwehrpflicht
(1868) sowie im Kriegsleistungsgesetz (1912).217 Dennoch gab es keinen allgegen-
wärtigen Hang, Drang oder Zwang zur Militarisierung. Die im Verlauf des Kriegs
graduell steigende Militarisierung (inkl. ihrer Hierarchisierung, Normierung, Ra-
tionalisierung und Entindividualisierung) blieb nicht auf die Erfahrungsräume der
k.
u.
k.
Armee beschränkt, sondern erfasste sämtliche Bereiche des Grazer Alltags.
Dazu sind einerseits das weitläufig akzeptierte Zurückdrängen bzw. Ausschalten
demokratischer Errungenschaften mittels rigoroser Verordnungen und Ausnah-
meverfügungen zugunsten hierarchischer Befehls- und Ordnungsprinzipien,
andererseits das tägliche Aufzeigen und Anprangern diverser Einheitsgrenzen
(Burgfriedensbrüche) zu zählen. Am deutlichsten manifestierte sich der Milita-
risierungsprozess jedoch in der Bereitschaft, das eigene Leben für das „Vaterland“
und die „Heimat“ respektive für die eigene Familie zu „opfern“. Ermöglicht wurde
diese schleichend sowie regional218 und personenspezifisch unterschiedlich aus-
geprägte Ausbreitung militärischer Normen, Interessen und Praktiken zum ei-
nen durch die in Cisleithanien seit Jahrzehnten vorangetriebene Militarisierung
vieler Alltagsbereiche und zum anderen durch den Krieg selbst. Vor dem Ersten
Weltkrieg war diese auf verschiedene Weise von „oben“ und „unten“ in die Wege
geleitete Militarisierung weder omnipräsent noch omnipotent, zumal das Militär
– quer durch alle Milieus – die späthabsburgische Gesellschaft polarisierte.219 Er-
sichtlich wird dies am breiten Spektrum der damaligen Militär- und Militarismus-
214 Hämmerle (2005), 118. Grundlegendes zum Spannungsverhältnis zwischen Militär und Zivilbe-
völkerung in Cisleithanien in: Cole/Hämmerle/Scheutz (2011). Einen Einblick in den Kasernen-
alltag mittels Rückgriffs auf kommentierte Lebensbilanzierungen bietet: Hämmerle (2012) und
(2011).
215 Hämmerle (2005), 118.
216 Hämmerle (2014), 32.
217 Allgemeines zum „kakanischen Militarismus“ und seiner „Volksbewaffnung“ in: Kronenbitter
(2010a) und (2010b). Speziell zum Kriegsleistungsgesetz (1912) siehe: Grandner (1992), 37–55.
Ein Abriss über die einzelnen Gesetze in: Wagner (1987), 485–494 [siehe auch die Lemmata
„Gesetzartikel“ und „Landwehrgesetz“ im Index].
218 Allgemeines zur Militarisierung Tirols in: Kuprian (2014).
219 Ich stütze mich hier auf den Sammelband von: Cole/Hämmerle/Scheutz (2011).
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453