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Vom „Balkanbrand“ 1912/13 | 73
zipiell kann festgehalten werden, dass die Krisen und Kriege vor 1914 von Demar-
chen (und Mobilisierungen) geprägt waren, die als solche – wie zu Ausbruch des
Ersten Weltkriegs – für viele damalige Zeitgenossen aber noch nicht zwangsläufig
„Krieg“ bedeuteten. Sehr wohl erachtete man – zumindest die Grazer Presse – das
Stellen eines Ultimatums als einen wichtigen und mit Konsequenzen versehenen
Schritt der Politik, der sich als solcher kommentieren ließe. 1914 warteten die Gra-
zer Redaktionen sehr lange auf einen Schritt vonseiten der (eigenen) k.
u.
k.
Regie-
rung. Das Ultimatum an Serbien erfolgte dann erst am 23. Juli 1914. Aus Sicht der
wartenden Presse, die sich seit dem Attentat von Sarajevo eine Klärung der geopo-
litischen Situation erhoffte respektive einforderte, war die Zeit bis zum Ultimatum
eine lange, ungewisse Zeit. Schließlich wussten die Redaktionen vielfach nicht Be-
scheid von den hinter verschlossenen Kabinetttüren in die Wege geleiteten Schrit-
ten. Um den zeitgenössischen journalistischen Wissenshorizont ausreizen zu kön-
nen, griffen die Grazer Redaktionen auf Korrespondenznachrichten, auf andere
Zeitungen, auf die wenigen politischen Stellungnahmen sowie auf die wenigen ans
Tageslicht gelangten Polittreffen zurück. Hinzu kam noch, dass der Grazer Journa-
lismus von 1914 auf die Erfahrungen aus den Balkankriegen zurückgreifen konnte.
Diese Erfahrungen waren im Jahr 1912, als der (Erste) Balkankrieg ausbrach, noch
unmittelbare Reaktionen, die mit Wörtern wie „drohend“, „Kriegsgefahr“ sowie
„Ultimatum“ begleitend kommentiert wurden. Die sich im Oktober 1912 immer
mehr am „Balkan“ zuspitzende Lage wurde dabei für die Grazer Presse immer un-
erträglicher. Fortlaufend trafen neue Meldungen (von der Diplomatie, von den
Korrespondenzbureaus oder von anderen Zeitungen) ein, denen sie wie den zirku-
lierenden Gerüchten entweder Glauben schenken konnte oder nicht. Den Aus-
bruch des Balkankriegs betitelten die Grazer Zeitungen mit Schlagzeilen wie „Der
Balkankrieg“ oder „Der Wortlaut der Kriegserklärung“.18 Mehrmals las man in
den Zeitungen den Begriff „Balkanbrand“.19 Diese Metapher erinnert stark an den
späteren „Weltenbrand“ von 1914 und auch damals 1912 bemühten sich die Zei-
tungen herauszufinden, was sich eben „[h]inter den Kulissen“20 abspielte. In An-
betracht der unklaren und nebulösen Nachrichtenlage schrieb bespielsweise das
radikal deutschnationale Tagblatt: „Man weiß ja, es wird niemals mehr gelogen als
vor einer Wahl, während eines Kriegs und nach einer Jagd.“21 Besonders über
Russland spekulierte und rätselte die Lokalpresse mehrfach. „Will Rußland den
18 Der Balkankrieg, in: Arbeiterwille, 10.10.1912, 2; Der Wortlaut der Kriegserklärung, in: Arbei-
terwille, 10.10.1912, 3.
19 Die letzten Stunden vor dem allgemeinen Balkankrieg, in: Grazer Volksblatt, 16.10.1912, 1.
20 Hinter den Kulissen, in: Grazer Tagblatt, 10.10.1912, 1.
21 Der Krieg und seine Begleiterscheinungen, in: Grazer Tagblatt, 15.10.1912, 1.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453