Page - 74 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Image of the Page - 74 -
Text of the Page - 74 -
| Sarajevoer Attentat und
Graz74
Krieg?“ war daher eine jener Fragen, die sich die Grazer Zeitungen oft stellten.22
Der Arbeiterwille stellte diesbezüglich klar: „Der Erb- und Todfeind der europäi-
schen Kultur, der russische Zarismus, rüstet zum Kriege.“23 Eine Lektüre der Ok-
toberpresse von 1912 kommt daher zum Schluss, dass sich die Redaktionen
enorme Gedanken über ein mögliches Eingreifen von russischer Seite anstellten.
Der kritischen Lage entsprechend wurde entlang der eigenen parteipolitischen
Brennlinse abgewogen, abgewogen und nochmals abgewogen und so sehr man die
Politik des „Zarenreiches“ in einigen Artikeln ein wenig differenzierte oder zur
Gänze diffamierte, der Faktor „Russland“ wurde von Beginn an miteinkalkuliert.
Heute weiß man, dass Russland letztendlich nicht militärisch in den Ersten Bal-
kankrieg eingriff. Anfang Oktober 1912 konnte man dies noch nicht wissen. Schon
am 13. Oktober 1912 fragte das Tagblatt unter der Schlagzeile „Balkankrieg oder
Weltbrand?“24 Eine Antwort, ob der „Weltbrand“ kommen werde, konnte das Tag-
blatt aber nicht geben. Für die Redaktion stand dennoch fest, dass der „Weltbrand“
kommen werde, wenn man nicht aufpasse:
„Dann aber wird er kommen der gefürchtete Weltenbrand. Die Erde wird erzittern unter
dem Donner der Geschütze, die Fluren werden zertreten werden von den Hufen unzäh-
liger Rosse, in der Luft wird gekämpft werden, und die Wogen des Meeres werden sich
färben vom Blute der Menschen! Kurz ist die Frist, die uns von der Entscheidung trennt,
der Stein ist im Rollen – wer hält ihn auf?“25
Die (publizistisch überformte) Grazer Darstellung der Balkankriege umfasste, wie
oben bereits angedeutet, auch den „Kriegsschrecken“, der in jedem Krieg anzu-
treffen ist. Im Falle der Balkankriege handelte es sich im Wesentlichen um die
gleichen Kriegsgräuel, wie man sie mehr oder minder von anderen Kriegen kannte
und die auch damals von den unterschiedlichen Seiten auf die eine oder andere
Weise instrumentalisiert, übertrieben und teilweise erfunden wurden. Von Be-
ginn an stand für die Redaktionen fest, dass ein solcher Krieg verheerende und
leidvolle Auswirkungen auf den Menschen haben würde: „Es wird ein furchtbarer
Krieg werden, ein blutiges Ringen um Leben und Tode zwischen den Südslawen
22 Will Rußland den Krieg?, in: Grazer Tagblatt, 2.10.1912, 1.
23 An das arbeitende Volk aller Nationen in Österreich!, in: Arbeiterwille, 13.10.1912, 1. Das hier
zitierte Manifest stammte von der Gesamtexekutive der sozialdemokratischen Arbeiterpartei
Österreichs, vgl. dazu auch: An das arbeitende Volk aller Nationen in Oesterreich!, in: Arbeiter-
Zeitung, 13.10.1912, 1.
24 Balkankrieg oder Weltbrand?, in: Grazer Tagblatt, 13.10.1912, 1.
25 Ebd.
back to the
book Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße"
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453