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Vom „Balkanbrand“ 1912/13 | 75
und Mohammedanern.“26 Dieser „Schrecken“ vor dem Krieg und seinen Folgen
kam fast täglich zur Sprache: „Alle Berichte stimmen darin überein, daß der Krieg
schon bisher furchtbar blutig verläuft, daß ungeheuer viel Tote und Verwundete
zu verzeichnen sind.“27 Weiter hieß es in dem Artikel: „Dazu kommt jetzt die Ge-
fahr der Cholera, die von den anatolischen Truppen aus Asien herübergeschleppt
wurde. Alle Kriegsgreuel vereinigen sich also schon jetzt.“ Und genau diese Vor-
stellungen vom Krieg führten in den Grazer Zeitungen – nicht nur weil gerade
Wahlkampf war – zu einer Pressepolemik bezüglich der Frage, wie man als halb-
außenstehende und halbinvolvierte Kolonialmacht auf den „Balkanbrand“ reagie-
ren sollte. Im Endeffekt attackierten sich die politischen Zeitungsakteure scharf
untereinander. Im Arbeiterwillen stand im Oktober 1912 mehrmals explizit: „Die
Klerikalen Österreichs als Kriegshetzer“.28 Von deutschnationaler Seite kamen
ständig die Vorwürfe, dass der „Trialismus“ von Franz Ferdinand gescheitert und
„deutschfeindlich“ sei.29 Der Wahrheit zu Liebe muss man sagen, dass Franz Ferdi-
nand letztendlich viele Reformvorstellungen hatte.30 Wenn es um monarchieweite
Strukturreformen ging, reduzierten die Grazer Deutschnationalen Franz Ferdi-
nand aber stets auf den von ihnen massiv abgelehnten „Trialismus“. Gegen Ende
Oktober 1912 lautete eine Schlagzeile des Tagblatts zum Beispiel „Trialismus, der
südslawische Panslawismus“.31 Die Hoffnung, dass der (Erste) Balkankrieg bald zu
Ende gehen würde, war sehr groß in den Grazer Zeitungen. Vielfach suchten sie
daher nach den besagten „Entscheidungsschlachten“. In nicht wenigen Artikeln
hofften sie bzw. warteten sie förmlich darauf, dass endlich eine klärende „Entschei-
dungsschlacht“, ähnlich wie die „Schlacht von Mukden“ oder die „Seeschlacht von
Tsushima“ des Russisch-Japanischen Kriegs (1904–1905), kommen werde. 1905
gab das Grazer Volksblatt dazu in einem Artikel mit dem vielsagenden Titel „Schre-
ckensnacht“ folgenden Kommentar ab: Kein Mensch wird je das Menschenleid des
besagten Kriegs „realistisch genug“ beschreiben können.32 Konkret bezog sich die
Zeitung hierbei auf die „Seeschlacht von Tsushima“ (Ende Mai 1905), die zwar un-
sägliches Leid hervorrief, aber dennoch aufgrund des „nervenerschütternden und
26 Ebd.
27 Der Rückzug der türkischen Truppen, in: Arbeiterwille, 28.10.1912 (Abendausgabe), 1.
28 Die Klerikalen Österreichs als Kriegshetzer, in: Arbeiterwille, 6.10.1912, 2.
29 Vgl. z. B. Trialistisches, in: Grazer Tagblatt, 28.10.1912 (Abendausgabe), 1.
30 Zu den politischen Positionen von Franz Ferdinand inklusive seiner sich abwechselnden Reform-
vorstellungen (darunter z. B. der Trialismus): Kronenbitter (2003b) und (1998).
31 Trialismus, der südslawische Panslawismus, in: Grazer Tagblatt, 25.10.1912, 1.
32 Die Schreckensnacht, in: Grazer Volksblatt, 1.6.1905, 6.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453