Page - 82 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz82
men, gegen den Verrath und Treubruch eines deutschen Bundesgenossen und gegen das
Raubgelüste des wälschen Erbfeindes zu Felde zu ziehen. Und siehe da! Opferwilligkeit,
das Kraftaufgebot und die Kampfesfreudigkeit aller Völker Oesterreichs für diesen hei-
ligen und gerechten Krieg [... sind wahrhaft bewundernswert und beispiellos]. Nicht
nur das starke, allezeit getreue und kampferprobte Heer glüht darnach, für die [... Ös-
terreich] angethane Unbill und tollkühn erneuerte Bedrohung blutige Rache zu nehmen
– jedes Land, jeder Stand, jede Volksklasse sendet freiwillige Streiter zu den siegreichen
Fahnen des kaiserlichen Doppel-Aars. Wahrlich, eines erneuerten Anstoßes künstlicher
Nahrung bedarf es für diese allgemeine Begeisterung keineswegs!“58
Dass hier Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, ist offensichtlich. Dass
hier journalistische Schreibkunst par excellence geboten wurde, ebenso. Dass hier
generalisiert wurde, um die gewünschte Konformität zu erreichen, ist verständ-
lich. Für mich ist dies alles aber weniger entscheidend. Wichtig für meine beiden
Fragenbereiche ist hier jedoch der Verweis, dass die Rede von der „Kriegsbegeiste-
rung“ zu Kriegsbeginn 1914 keine Neuheit darstellte. Sie entsprach lediglich einer
seit Jahrzehnten eingeübten Norm. Die Zeitungsquellen von 1914 klingen pointiert
ausgedrückt nicht sonderlich anders als die Zeitungen von 1866. Niemand würde
aber ernsthaft die „Kriegsbegeisterung“ von 1866 mit der „Kriegsbegeisterung“
von 1914 auf ein und dieselbe Stufe stellen (stellen können). Wo liegt demnach
der Unterschied? Begriffstechnisch gibt es keinen Unterschied. 1914 war das letzte
Mal, dass die Zeitungen einen Krieg mit den Worten „Begeisterung“ und „Kriegs-
begeisterung“ erfassten. Man sprach aber auch von einer „[g]roße[n] Bewegung
in Berlin“.59 Und „Bewegung“ konnte sowohl Begeisterung als auch Zustimmung,
Hingabe, Entschlossenheit oder Erregung bedeuten.
58 Steirisches Freikorps 1848 und 1849 in Italien, in: Militär-Zeitung, 23.6.1866, 403. Es handelt
sich hierbei um eine Buchempfehlung.
59 Große Bewegung in Berlin, in: Arbeiterwille, 31.7.1914 (Abendausgabe), 1.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453