Page - 92 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz92
auf den Punkt wie der Artikel „Der Hauch der Geschichte?“ vom 22. Juli: „Sicher
ist ja, daß die schwarzen und schwarzgelben verantwortungslosen Kriegstreiber
mit Volldampf arbeiten und darin von dem k. k. Telegraphen- und Korrespon-
denzbureau weidlich unterstützt werden [...].“109 Weiter hieß es im Artikel: „Kein
Mensch in ganz Europa würde den Narreteien und Frechheiten der Kolportage-
romanblätter von Belgrad irgendeine Beachtung schenken, aber von amtlich ös-
terreichischer Seite werden die dummen Hetzartikel der serbischen Kriegstreiber
wiedergekäut – um den österreichischen Kriegstreibern Anlaß zu erneuter Hetze
zu geben!“
Die bürgerliche Presse wiederum attackierte den Arbeiterwillen und bekämpfte
sich entlang klerikal-konservativer und deutschnationaler Parteilinie. Für die Ta-
gespost war zum Beispiel die Sozialdemokratie „staats- und volksfremd“.110 Und
der einmal wöchentlich erscheinende Sonntagsbote, das Organ des katholischen
Bauernvereins in der Steiermark, vermerkte beispielsweise: „In allen Kreisen der
Bevölkerung, mit Ausnahme der österreichfeindlichen Sozialdemokraten und all-
deutschen ‚Los-von-Rom‘-Stürmer und Österreichhasser, verlangt man ein energi-
sches Vorgehen gegen Serbien, das seine Hände schützend über die Verschwörer-
bande breitet.“111 Die seit Ende Juni 1914 stärker werdende Pressepolemik wirkte
durch ihre schroffen Polarisierungen politisch desintegrativ, weswegen es erstaun-
lich ist, dass die gleichen Zeitungsakteure nach diesem Juli der gegenseitigen At-
tacken überhaupt zu einer Einheitsdiskussion im August 1914 fähig waren. Die
Julipolemik beeinträchtigte zudem das Verhältnis zwischen dem slowenischen Mi-
lieu und weiten Teilen des „deutschen“ Teils der steirischen Bevölkerung massiv.
Der steirische Nationalitätenkonflikt wurde im Juli 1914 noch intensiver als bisher
geführt, was sich bereits daran zeigt, dass bis Jahresende 1914 rund 2.000 Slowe-
nen, meistens Männer, verhaftet wurden.112 Ebenso verhärteten sich, wie oben an-
gedeutet, im Juli 1914 die Fronten zwischen dem sozialdemokratischen und dem
bürgerlichen Milieu. Am 27. Juli schrieb beispielsweise das katholische Volksblatt:
„Ein gewisses Grazer Blatt [gemeint ist hier der Arbeiterwille], welches bisher immer
die Interessen Serbiens vertreten hat, ist wütend darüber, daß wir infolge unseres ausge-
zeichneten Informationsdienstes stets in der Lage waren, unseren Lesern die allerneu-
109 Der Hauch der Geschichte?, in: Arbeiterwille, 22.7.1914, 1.
110 Sozialdemokratie und Kriegsgefahr, in: Tagespost, 26.7.1914, [ohne Seitenangabe].
111 Österreich und Serbien, in: Sonntagsbote, 26.7.1914, 1. Der katholische Sonntagsbote erschien
jeden Freitag mit dem Datum des darauffolgenden Sonntags. Demnach erschien der Artikel „Ös-
terreich und Serbien“ am 24. Juli (einen Tag nach der Verkündigung des Ultimatums).
112 Siehe das Kapitel: Infiltrierendes „Spinnennetz“.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453