Page - 128 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz128
voer Attentat „aktivierten“ Spione und Spioninnen. Die Infiltrationsängste entlang
eines vermeintlich staatszersetzenden „Spinnennetzes“305 über der Steiermark rief
aber, wie erwähnt, nie eine Fluchtbewegung der steirischen Bevölkerung hervor.
Abseits der Unwetter drückten daher die Gerüchte über „Terrorkommandos“ und
Spione sowie prinzipiell die Nachrichten von verhafteten „Serbenfreunden“ die
frühsommerliche Stimmung.
Positive Ereignisse findet man in den Grazer Zeitungen dagegen weniger
schnell. In die Zeit, als die Angst vor dem „Spinnennetz“ immer größer wurde,
fallen etwa die wenigen infolge des Regens noch möglichen Militärkonzerte.306
Ansonsten hatten die Studierenden307 wie die Schulkinder frei308 und die Touris-
ten und Touristinnen wateten durch die Grazer Innenstadt.309 Gleichzeitig gin-
gen die Vorbereitungen für die alljährliche Grazer Herbstmesse in ihre Endphase
und die alljährliche Reservistenvermittlung auf die Erntefelder lief aufgrund der
Unwetter mehr schlecht als recht.310 Dennoch verdeutlichen die einzelnen Lokal-
teile und Veranstaltungsankündigungen, dass, wann immer es das Wetter zuließ,
einige Menschen der getrübten frühsommerlichen Urlaubszeit mit Ausflügen
oder Vereinsfesten entgegentraten. Regelmäßige Ausflüge in die Region unter-
nahmen beispielsweise die sozialdemokratischen Kinderfreunde.311 Ähnliches gilt
für die erst im Jahr 1914 in der Steiermark gegründeten Pfadfinder. So warb der
Steierische Pfadfinderbund für: „Abhaltung von Jugendspielen, Bewegungs- und
Geländespielen, Ausflügen, Wanderungen, leichtathletischen Übungen und be-
sonders Pfadfinderübungen unter der Leitung von Feldmeistern, beziehungsweise
Feldmeisterinnen.“312 Nur wenige Institutionen oder Vereine meldeten hingegen
305 Der Begriff „Spinnennetz“ rekurriert lose auf Joseph Roths Fortsetzungsroman „Das Spinnen-
netz“ (1923) [Nicht im Quellenverzeichnis angeführt].
306 Platzmusik im Stadtpark, in: Grazer Tagblatt, 22.7.1914, 4.
307 Das Wintersemester der Universität Graz begann am 1. Oktober und endete am 24. März 1915,
vgl. Von der Grazer Universität, in: Grazer Tagblatt, 31.7.1914 (Abendausgabe), 3.
308 Im Gegensatz zu manch anderen Kronländern der Monarchie hatten die steirischen Volksschu-
len, Mittelschulen (inkl. der Mädchenlyzeen) sowie die Lehrerbildungsanstalten vom 16. Juli
bis zum 15. September 1914 Ferien. Vgl. Schulschluß an Volks- und Bürgerschulen, in: Verord-
nungsblatt für das Schulwesen im Herzogtume Steiermark (15.6.1914), [nach Redaktionsschluss
eingelangt, daher letzte Seite]; Vorzeitiger Beginn der Hauptferien an Volks- und Bürgerschulen,
in: Verordnungsblatt für das Schulwesen im Herzogtume Steiermark (1.8.1914), 75. Das deckt
sich auch mit den Angaben der Grazer Zeitungen.
309 Das lassen die sogenannten „Fremdenlisten“ in den Tageszeitungen erkennen, die Auskunft dar-
über gaben, wer in welchem Hotel abstieg.
310 Reservistenvermittlung, in: Grazer Vorortezeitung, 5.7.1914, 4.
311 Siehe allein die Rubrik „Nachrichten aus den Vereinen“ im Arbeiterwillen.
312 An die deutsche Schuljugend von Graz!, in: Grazer Tagblatt, 19.7.1914, 2.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453