Page - 129 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Zur Trauerstimmung | 129
der Presse, dass ihre angedachten Feiern aufgrund des Attentats in Sarajevo ver-
schoben werden. So verlegte zum Beispiel die Freiwillige Feuerwehr von Wal-
tendorf ihre Feiern anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens um einige Tage nach
hinten.313 Der Regen wurde hingegen viel öfter als Absagegrund angegeben. Eine
positive Attraktion in diesen Tagen bildete zweifelsohne auch der Zirkus Kludsky,
der Anfang Juli in Graz am Trabrennplatz, dem Gelände der Industriehalle, seine
Zelte errichtete.314 Bereits das Ausladen seiner beiden Sonderzüge am 2. Juli zeitig
in der Früh erweckte am Grazer Hauptbahnhof die Neugier „einige[r]“ Menschen,
da dies unter anderem mit Elefanten erfolgte.315 Der Zirkus blieb von den Unwet-
tern weitgehend verschont und seine Vorstellungen waren sehr gut besucht. Das
gilt nicht nur für seine Premiere am 2. Juli316, dem Tag, an dem der Hoftrauerzug
mit den Leichen des Thronfolgerpaars in Graz kurzfristig Halt machte, sondern
für alle seine Vorstellungen (siehe unten). Dabei legen die freudigen Zeitungsre-
zensionen und die gut besuchten Zirkusveranstaltungen ebenfalls nahe, dass in
Graz keine breite Trauerstimmung bezüglich des Ablebens des Thronfolgerpaares
herrschte. Am selben Tag, als der Zirkus Kludsky seine Zelte in Graz aufstellte,
hielt, wie erwähnt, der Hoftrauerzug auf seiner Fahrt von Triest (Trieste) nach
Wien kurzzeitig im Grazer Hauptbahnhof.317 Wurde das in den Morgenstunden
abgewickelte Ausladen der Zirkus-Züge nur von einigen wenigen verfolgt, so ka-
men in den späten Nachmittagsstunden viele Menschen auf den Bahnhof, um den
zum Teil mit Kränzen geschmückten Hoftrauerzug zu sehen. Auf den Bahnsteig
durften – fernab des offiziellen Kondolenzkomitees – nur diejenigen, die eine gül-
tige Bahnfahrkarte besaßen.318 Die Mehrheit der Menschen verweilte daher auf
dem Bahnhofsvorplatz. Zudem versuchten viele Menschen, an der Bahnstrecke
außerhalb des Bahnhofareals einige Blicke auf den Trauerzug zu erhaschen. Die
Zeitungen (darunter auch der Arbeiterwille) sprachen einhellig von „viele[n]
313 Das Fest des 40jährigen Bestandes der Freiwilligen Feuerwehr Waltendorf, in: Grazer Tagblatt,
3.7.1914 (Abendausgabe), 3.
314 Kludskys unstreitig Oesterreichs größte Zirkus-Monsterschau! [Annonce], in: Arbeiterwille,
2.7.1914, 12.
315 Kludskys Zirkusschau, in: Arbeiterwille, 2.7.1914, 7.
316 Die Eröffnungsvorstellung des Zirkus Kludsky, in: Grazer Tagblatt, 3.7.1914 (Abendausgabe), 3.
317 Dieses Ereignis wurde mit einer Filmkamera aufgenommen. Der kurze Filmausschnitt ist auf
der 2010 erschienenen DVD „Film Archiv Austria: Edition Steiermark: Graz 1914–1933, Screen
Format 4:3, PAL/Deutsch/115 Min., Karl Wratschko (Red.)“ zu sehen [Die informative DVD ist
nicht extra im Quellenverzeichnis angeführt].
318 Die Durchfahrt der Leichen des Thronfolgerpaares, in: Arbeiterwille, 3.7.1914, 7.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453