Page - 132 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz132
Österr. Flottenvereins).334 Eine „echte Bestürzung“ über das Ableben des Thron-
folgers herrschte aber eigentlich nur bei seinen politischen Freunden im Belvede-
re.335 Der Rest der Dynastie zeigte „keine allzu tiefe“ Trauer, zumal das Ableben
des Thronfolgers viele „vom Druck schwerer Zukunftssorgen“ befreite.336 Dabei
kann grundsätzlich davon ausgegangen werde, dass die Person Franz Ferdinand
in Graz nicht sonderlich beliebt war. Die Sozialdemokratie stand Franz Ferdinand
aufgrund seiner antiparlamentarischen, antisozialdemokratischen, antisemiti-
schen, antiliberalen sowie militaristischen Grundhaltung, die als solche sowohl
den sogenannten Ausgleich von 1867 als auch die Einführung des allgemeinen
Männerwahlrechts auf Reichsebene ablehnte, negativ gegenüber. Im letzten Frie-
densjahr erzürnte sich der Arbeiterwille zum Beispiel über die Tatsache, dass der
Thronfolger käuflich erworbene Wälder und Berge „dem allgemeinen Verkehr“
entziehen würde.337 Den Deutschnationalen war seine Patronanz des katholischen
Schulvereins (1901) und seine damit verbundene Gegnerschaft zur (deutschnati-
onalen) „Los-von-Rom“-Bewegung ein Dorn im Auge. Ebenso missbilligte man
sein Trialismus-Konzept.338 Selbst das klerikal-konservative Milieu war Franz Fer-
dinand nicht in allen Dingen wohlgesinnt, was nicht nur von seinem schlechten
Verhältnis zum Kaiser herrührte. Wie man den Thronfolger im slowenischen Mi-
lieu auffasste, wurde bis dato nur vage herausgearbeitet. Man weiß aber bereits,
dass sein loses trialistisches Programm auch nach dem Attentat eine Alternative
zur dualistischen Monarchie war. Das erkennt man zum Beispiel an der sogenann-
ten Mai-Deklaration (1917), in der man „die Zusammenfassung der slowenischen,
kroatischen und serbischen Territorien der Monarchie zu einem selbstständigen
Staatsorganismus unter dem Zepter Habsburgs“ forderte.339 Dass Franz Ferdinand
(sowie der cisleithanische Ministerpräsident Karl Stürgkh) in Graz geboren wur-
den, bewirkte daher in der deutschnationalen und sozialdemokratischen Presse
ohne zu irritieren keinen Extrabonus. Franz Ferdinand war weder vor noch nach
seinem Tod eine Integrationsfigur. Das alldeutsche Grazer Wochenblatt sprach
ihre Abneigung gegenüber Franz Ferdinand auch nach dem Attentat offen aus:
334 Der Vorstand der Ortsgruppe Graz des Österr. Flottenvereines, in: Grazer Tagblatt, 3.7.1914
(Abendausgabe), 1.
335 Kronenbitter (2003a), 460.
336 Ebd.
337 Das heilige Eigentum auf dem Großglockner, in: Arbeiterwille, 31.5.1914, 3.
338 Franz Ferdinand änderte mehrmals seine Reformvorstellungen, vgl. noch einmal: Kronenbitter
(2003b) und (1998).
339 Moll (2014), 147.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453