Page - 133 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Zur Trauerstimmung | 133
„Betrachtet man, daß die Sprache in der Familie [... Franz Ferdinands] nur tschechisch
war, ebenso die Buchhaltung nur tschechisch gewesen ist und daß nur Tschechen als
Beamte aufgenommen wurden, so spricht dies alles deutlich genug. ‚Ich will mit meinen
Slawen regieren‘ waren die Worte, die der Erzherzog des öfteren gebrauchte. Die Dank-
barkeit der Slawen zeigte sich.“340
Das katholische Volksblatt erboste sich über Stellungnahmen wie diese. Gleich in
mehreren Artikeln warf es den Sozialdemokraten (die „roten Großserben“ und ihr
„Judenwille“341), den Alldeutschen und den Juden vor, dass sie nicht angemessen
bis gar nicht über den Tod des Erzherzogs trauern würden. Beispiele hierfür sind
der Artikel „Alldeutsche und jüdische Gemeinheiten“ vom 3. Juli und der Artikel
„Der großserbische ‚Arbeiterwille‘“ vom 25. Juli:
• „Von den Sozialdemokraten wundert es uns nicht, daß sie den Fürstenmord be-
schönigen und verteidigen. Aber auch bei den Alldeutschen und den Juden findet
man Äußerungen, die beinahe wie eine Genugtuung über den Tod des starken
Mannes klingen.“342
• „Es ist eine Schmach für die deutscheste Stadt Österreichs, was sich der jüdischso-
zialistische ‚Arbeiterwille‘ seit der Ermordung des Thronfolgers an Hohn und
Schmähung über Kaisertreue und Vaterlandsliebe ungestraft leisten darf. Und
als in den letzten Tagen bei verschiedenen Gartenkonzerten von den Gästen das
Kaiserlied, das [... Prinz-Eugen-Lied], der Radetzkymarsch u. s. w. verlangt wur-
den, begann der ‚Arbeiterwille‘ über den ‚blinden Patriotismus‘ noch mehr zu
höhnen.“343
Ferner attackierte das Volksblatt die Neue Freie Presse (Wien), zumal diese
„judenliberale“344 Zeitung nur vorübergehend und oberflächlich um Franz Ferdi-
nand trauern würde. Aus Stellungnahmen wie diesen lässt sich ablesen, dass das
Attentat von Sarajevo in Graz – wie im Ausland345 – zu keiner allgemeinen oder
gar anhaltenden Trauerstimmung führte. Zwar waren viele politisch erschüttert
über den Anschlag, aber diese Stimmungslagen glichen mehr einer politischen
340 Den Auchdeutschen Volksverführern ins Stammbuch, in: Grazer Wochenblatt, 26.7.1914, 2.
341 Beide Begriffe finden sich in dem Artikel: Der großserbische „Arbeiterwille“, in: Grazer Volks-
blatt, 25.7.1914, 5.
342 Alldeutsche und jüdische Gemeinheiten, in: Grazer Volksblatt, 3.7.1914, 3.
343 Der großserbische „Arbeiterwille“, in: Grazer Volksblatt, 25.7.1914, 5.
344 Alldeutsche und jüdische Gemeinheiten, in: Grazer Volksblatt, 3.7.1914, 3.
345 Leonhard (2014), 87.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453