Page - 159 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Unklare Mobilisierungsplakate | 159
zinsbeitrag nochmals beim Gemeindevorsteher anmelden.“116 Die Verwirrung be-
züglich der eigenen Einberufung verschärfte sich im Zuge der Generalmobilma-
chung (31. Juli, 1. „Mobtag“ war der 4. August), die mitunter mit der
Unübersichtlichkeit der verschiedenen und teilweise zweisprachigen Plakate kor-
relierte. Sowohl die zahlreichen Presseerläuterungen117 und Buchempfehlungen118
als auch die fettgedruckten Großbuchstaben in den Ecken einiger Plakate selbst
konnten etwaige Ungewissheiten nicht entschieden lösen. Es blieb bei der Feststel-
lung, dass „hinsichtlich der Einrückungspflicht allenthalben Zweifel bestehen.“119
Das Amtshaus wurde am Tag der Generalmobilmachung von Hunderten konsul-
tiert, sodass sich das Desiderat an Kriegserfahrungen inklusive der unerprobten
allgemeinen Wehrpflicht120 nicht nur an der Front, sondern auch in Graz sehr früh
bemerkbar machte. In Österreich-Ungarn herrschte zu Kriegsbeginn ein Mangel
an Erfahrung mit den „Begleitumständen“ von Krieg. Das galt sowohl für das Mi-
litär als auch für die Zivilbevölkerung. Dieses Desiderat konnten weder die kleinen
(und außerhalb) der Habsburgermonarchie geführten Militäraktionen der Jahr-
zehnte zuvor noch die Teilmobilmachungen und Standeserhöhungen im Zuge der
Balkankriege (1912/13) kompensieren.121 Auch das spärliche Umsetzen der allge-
meinen Wehrpflicht trug zu diesem Desiderat bei. Schließlich wurde seit der Ein-
führung der Wehrpflicht immer „nur eine Minderheit aller jungen Männer eines
Jahrgangs eingezogen“.122 Dieses geringe Pensum an Einzurückenden verringerte
sich noch weiter durch die Stellungsflucht. So kamen beispielsweise 1910 rund
22,7 Prozent der Stellungspflichtigen ihrer Stellung nicht nach.123 Liest man sich
allein die Briefkastenrubrik der Grazer Tageszeitungen durch, finden sich dort
viele redaktionelle Antworten auf Fragen bezüglich der Einberufung/Kriegsdienst-
leistung. Vereinzelt drängte sich mir beim Lesen einiger dieser Antworten der ver-
mutlich unangebrachte Verdacht auf, dass einige der Fragen-Stellenden eine (die
Untauglichkeit ermöglichende) Selbstverstümmelung beabsichtigten oder sich zu-
mindest über diese Möglichkeit informierten:
116 Briefkasten der Redaktion, in: Arbeiterwille, 30.1.1915, 3.
117 Wer hat einzurücken?, in: Arbeiterwille, 1.8.1914, 1; Zur Mobilisierung, in: Arbeiterwille,
1.8.1914 (Abendausgabe), 2.
118 Briefkasten der Schriftleitung, in: Grazer Tagblatt, 12.9.1914, 4.
119 Welche Landsturmpflichtigen haben einzurücken?, in: Tagespost, 1.8.1914 (12-Uhr-Ausgabe),
[ohne Seitenangabe].
120 Zur unerprobten Wehrpflicht am Beispiel der staatlichen Fürsorge (später Versorgung):
Pawlowsky/Wendelin (2015), 56f.
121 Wagner (1987), 633.
122 Hämmerle (2005), 110.
123 Ebd., 117.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453