Page - 173 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Die letzten Tage im Juli | 173
terieregiment (Albert I. König der Belgier) und das 7. Infanterieregiment (Graf
von Khevenhüller).192 Obendrein waren ihre Militärkapellen sehr beliebt.193 Einem
zwei Jahre nach Kriegsbeginn verfassten Bericht des Oberstaatsanwalts Alfred
Amschl (1852–1926) entnimmt man, dass in den Tagen rund um den Kriegsaus-
bruch Gerüchte über die „Bosniaken“ in Graz zirkulierten. Amschl, der von 1907
bis 1919 Oberstaatsanwalt in Graz war194, betonte in diesem Bericht zum einen,
dass das 2. bosn.-herzeg. Infanterieregiment seit den Badeni-Unruhen „in Graz
scheel angesehen“ wurde und zum anderen, dass Ende Juli und Anfang August
„das Misstrauen gegen die wackeren Bosnier zu ganz unwahren Gerüchten“ führ-
te.195 Präzise Angaben, was darunter zu verstehen sei, lassen sich dem Bericht nicht
entnehmen. Allem Anschein nach bezog sich das – letztendlich völlig unbegrün-
dete und haltlose – Misstrauen darauf, ob denn die „Bosniaken“ im Krieg auch
wirklich loyal wären. Solche Ängste kursierten, wie gesagt, seit Langem. Während
der Balkankriege (1912/13) überwachte zum Beispiel die Polizei196 verstärkt Gast-
häuser, in denen Soldaten des 2. bosn.-herzeg. Infanterieregiments verkehrten.197
Hinweise, dass die besagten Soldaten „panslawistisch“ eingestellt seien, fand die
Polizei jedoch nicht. Mit ähnlichem Misstrauen sah sich das 28. Infanterieregi-
ment (das Prager „Hausregiment“) zu Kriegsbeginn 1914 konfrontiert.198 Was die
„Bosniaken“ betrifft, sei jedoch vorgegriffen, dass sich seit dem großen Truppenab-
finden sich im Volksblatt: Hinter Stacheldrahtzäunen verschanzte Serben werden durch unsere
Truppen vertrieben, in: Grazer Volksblatt, 18.10.1914, 12; Die Kämpfe um die Höhen von Magi-
era. – Österreichische Landsturmleute bei Przemysl, in: Grazer Volksblatt, 25.10.1914, 10.
192 Das 7. Infanterieregiment war sowohl in Klagenfurt als auch in Graz stationiert.
193 Brixel (1982), 205 f.
194 Schöggl-Ernst (2008), 93 f.
195 Oberstaatsanwaltschaft an Statthalterei-Präsidium, 23.6.1916, in: StLA, Statt. Präs. E91/1369/1916.
196 In Graz wurden bis 1919 die klassischen „Polizeiaufgaben“ von zwei unterschiedlichen Institu-
tionen bewerkstelligt. Hierbei handelt es sich zum einen um die (städtische) Sicherheitswache
sowie um die (staatliche) Grazer Polizei-Direktion. Die – der Grazer Stadtverwaltung (Magistrat)
unterstellte und nicht vom Staat finanzierte – städtische Sicherheitswache (Grazer Wache) ver-
folgte die Verkehrs-, Sitten- und Kriminalitätsdelikte. Diese uniformierte Grazer Wache wurde
seit 1908 von Othmar Mallitsch geleitet. 1911 erhielt Mallitsch den Titel „Städtischer Polizeidi-
rektor“. Im Gegensatz zur Grazer Wache oblagen der k. k. Polizei-Direktion Graz die staatspoli-
zeiliche Überwachung sowie die Pass- und Meldeangelegenheiten. Die Grazer Polizei-Direktion
unterstand dem Staat und wurde von diesem auch finanziert. Seit 1906 wurde sie von Lothar
Weyda von Lehrhofen (sprich dem „k.
k.
Polizei-Direktor Graz“) geleitet. Die (städtische) Sicher-
heitswache und die (staatliche) Grazer Polizei-Direktion wurden erst 1919 zusammengelegt. Zur
turbulenten Geschichte der beiden zweigleisig fahrenden Institutionen (Standorte, Kompeten-
zen, legislativ-territorialer Zuständigkeitsbereich) siehe insbesondere: Gebhardt (1998).
197 Moll (2007a), 143.
198 Lein (2011), 54.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453