Page - 207 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Kaiserfeiern rund um den 18. August | 207
Josepf I. Geburtstag hatte. Bei der Lektüre seiner Morgenausgabe fiel jedoch auf,
dass die Titelseite fast vollständig zensiert wurde. Liest man sich die bürgerlichen
Lokalberichte durch, wurden die (leicht verregneten) Kaiserfeiern wieder von der
Beamtenschaft, den Soldaten, den katholischen Studierenden und Professoren,
dem Klerus, den Veteranenvereinen, den Schulen, der Grazer Sicherheitswache
(Wache), den Feuerwehren und dem Bürgerkorps getragen.368 Im Gegensatz zum
Vorjahr369 wurden jedoch keine Kanonenschüsse vom Grazer Schlossberg abge-
feuert. In den Grazer Kirchen fanden die von der bürgerlichen Presse beworbenen
Kaiserfeiern am 23.
August statt. Im Dom feierte man am 18.
August. Ebenso nah-
men die beiden evangelischen Kirchen von Graz sowie die Synagoge an den Kai-
serfeiern teil. Die Synagoge partizipierte an den Kaiserfeiern nicht zuletzt durch
eine uneingeschränkte und vorbehaltslose Loyalitätsbekundung an den Kaiser
(„Schutzherr“ der jüdischen Gemeinden und „König von Jerusalem“) durch den
Rabbiner David Herzog. So trat Herzog – zumindest in seinen 1915 veröffentlich-
ten Kriegspredigten zufolge – permanent für einen bedingungslosen Kriegseinsatz
ein. Am 18. August 1914 habe er den veröffentlichten Kriegspredigten zufolge in
der Synagoge feierlich proklamiert: „Gott erhalte, Gott beschütze unsern Kaiser
Franz Josef I. Amen.“370 Stellungnahmen dieser Art durchziehen nicht nur diese
besagte Kriegspredigt vom 18. August, sondern all seine gedruckten Predigten.
Seine Gottesdienste wurden einige Male von der bürgerlichen Presse gelobt, was
nicht bedeutet, dass die deutschnationalen Zeitungen frei von Antisemitismus ge-
wesen wären.371 Abseits der Sakralbauten fanden die Kaiserfeiern an „gehobenen“
Orten statt: vornehmlich im Ratssaal der Burg, im Stephaniensaal der Steiermärki-
schen Sparkasse, im Café Stadtpark, im Café Hilmteich, im Staatsbeamtenkasino,
das Café Hilmteich (wo das Bürgerkorps ein Konzert gab) oder einige Schulen. So hielt z. B. die
Nibelungenmädchenschule eine kleine Kaiserfeier ab. Auch am traditionell deutschnationalen
Sedantag (um den 2. September) fanden keine nennenswerten Großereignisse oder zumindest
Feiern, die über den akademischen Rahmen hinausgegangen wären, statt.
368 Das k. k. Bürgerkorps veranstaltete traditionsgemäß einen kleinen Zapfenstreich durch die In-
nenstadt.
369 Kaisers Geburtstag, in: Grazer Tagblatt, 18.8.1913 (Abendausgabe), 3. Im Folgenden beziehe
ich mich auf das Verordnungsblatt der Seckauer Diözese sowie auf einige Artikel, vgl. Zur Feier
des Geburtsfestes Seiner Majestät, in: Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese
(1914), Nr.
7, 68; Die Kirchenkollekte am Geburtsfeste Seiner Majestät 1914, in: Kirchliches Ver-
ordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese (1914), Nr. 10, 91; Evangelische Gemeinde, in: Grazer
Tagblatt, 15.8.1914, 3; Zur Feier des Geburtstagsfestes des Kaisers, in: Grazer Tagblatt, 17.8.1914
(Abendausgabe), 2; Die Kaiserfeier in den Grazer Kirchen, in: Grazer Volksblatt, 24.8.1914
(12-Uhr-Ausgabe), 3; Kirchensammlung zu Kaisers Geburtstag, in: Grazer Tagblatt, 12.9.1914, 2.
370 Herzog (1915), 19–23.
371 Siehe die drei Kapitel: Erste „Soldatenerzählungen“, Hamsterkäufe und Kirchen und Friedhöfe.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453