Page - 220 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Image of the Page - 220 -
Text of the Page - 220 -
| Innenstadt und
Bahnhof220
bereits in ein und derselben Zeitung. Die Glorifizierung der eigenen Waffen verlief
weitgehend entlang der Begriffe „Kultur“ und „Erfindergeist“. So galt mitunter die
„Dicke Bertha“ (der „großer Brummer“ oder die „fleißige Berta“) für die bürger-
liche Presse als „deutsche[s] Wundergeschütz“.442 Die französische und britische
Waffen- und Aufklärungstechnik subsumierte man dagegen zum Teil unter dem
Begriff der „Unkultur“, da sie „unnötige Schmerzen und schweres Siechtum“ ver-
ursachen würden.443 Etwaige Stellungnahmen in puncto „vormodernes“ Rüstzeug
(Säbel etc.) finden sich dagegen nur in Nuancen. Das partielle Mokieren über die
Ineffizienz der gegnerischen Waffen- und Aufklärungstechnik verlief meistens ent-
lang des Topos einer vorbeischießenden russischen Armee und deren nicht funkti-
onierender Granaten.444 Vielfach sprach man auch von den „furchtbarsten Waffen“,
die die Welt je gesehen hatte.445 Für das Volksblatt zählte vor allem „das Maschi-
nengewehr mit seiner enormen Schußzahl in der Minute“ zu „den furchtbarsten
Waffen der modernen Schlacht“.446 Zeitgleich idealisierte das Volksblatt den Krieg
als etwas „Reinigendes“. Was man sich nun unter dieser „Erneuerung“ vorzustellen
habe, hängt davon ab, welchen Artikel man liest. Manchmal empfand das Volks-
blatt den Krieg als „Katharsis“, weil er die Sozialdemokratie auflösen werde. In an-
deren Artikeln – hauptsächlich jene, die die katholischen Pfadfindergruppen glo-
rifizierten – kolportierte das Volksblatt, dass der Krieg die „verweichlichten“ und
„verrohten“/„verwahrlosten“ Kinder und Jugendlichen „erneuern“ werde.447Neben
den mehrmals geschilderten Formen, wie man im Krieg getötet werden konnte,
thematisierte die Presse des Öfteren die einzelnen Verwundungsgrade. Dabei ak-
zentuierte die Presse an manchen Stellen, dass die Verwundungen nicht schwer-
wiegend seien. An anderen Stellen kolportierten dieselben Zeitungen, dass die
Dum-Dum-Geschosse448, Granaten, Gewehrschüsse inklusive deren Querschläger
442 Alle Zitate stammen aus: Die 42 Centimeter-Belagerungsmörser, in: Grazer Volksblatt, 27.8.1914
(12-Uhr-Ausgabe), 2; Der 42-Zentimeter-Mörser, in: Grazer Tagblatt, 18.10.1914 (2.
Morgenaus-
gabe), 9; Deutschlands Geheimnis, in: Grazer Vorortezeitung, 30.8.1914, 4.
443 Dum-Dum-Geschosse in alter Zeit, in: Grazer Mittags-Zeitung, 24.9.1914, 4.
444 Wie die Russen vorbeischießen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 20.8.1914, 2; Granaten, die nicht
explodieren, in: Grazer Mittags-Zeitung, 22.8.1914, 4.
445 Der Krieg, in: Sonntagsbote, 9.8.1914, 1.
446 Im Maschinengewehrfeuer, in: Grazer Volksblatt, 9.9.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 4.
447 Siehe das Kapitel: Pfadfinder und Wandervogel.
448 Der damals vielfach geäußerte Vorwurf, dass die britische Armee Dum-Dum-Geschosse (Teil-
mantelgeschosse, Hohlspitzgeschosse) einsetzen würde, konnte nie nachgewiesen werden. Vgl.
den Lexikonartikel „Dumdumgeschosse“ von Gerhard P. Groß in: Hirschfeld/Krumeich/Renz
(22014), 450.
back to the
book Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße"
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453