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Präventivzensur | 229
Strafgesetzes) erfüllten.498 Im selben Atemzug beschwerte sich der Arbeiterwille,
dass genau diese Textstellen in Wien die Zensur passierten, während man sie in
Graz zensierte.499 Noch verwerflicher empfand er die Tatsache, dass die Behörden
vielerorts das sozialdemokratische Manifest „Arbeiter, Parteigenossen!“ von Ende
Juli konfiszierten.500 Alle diese (kostspieligen) Konfiskationen erachtete der Arbei-
terwille als Bestätigung seiner grundsätzlichen Abscheu für das (parlamentslose)
„Ministerium Stürgkh“ und dessen „Diktaturparagrafen“. Die deutschnationalen
Zeitungen dachten ebenso wie der Arbeiterwille. Schließlich wurden auch ihre
Organe hin und wieder beschlagnahmt.501 Im Krieg setzte sich die Kritik an der
Handhabung der Zensur und an den Konfiskationen fort. Beispielsweise druckte
die (auflagenschwache) Mittags-Zeitung einen Artikel, in dem sie – wie so oft – die
(auflagenstarke) Tagespost und den Oberstaatsanwalt Alfred Amschl attackierte:
„Wir nehmen an, daß dies von unserer in der gegenwärtigen Zeit überbürdeten
Staatsanwaltschaft nicht beachtet wurde, glauben aber keine Fehlbitte zu tun, der
Herr Erste Staatsanwalt, unter dessen vorzüglichen Eigenschaften insbesondere
der Gerechtigkeitssinn gerühmt wird, möge das Wohlwollen, das er der ‚Tagespost‘
entgegenbringt, auch etwas auf die ‚Grazer Mittagszeitung‘ ausdehnen.“502 Zuweilen
wiesen die Grazer Redaktionen auch darauf hin, dass man in Ungarn (wo es keine
flächendeckende Präventivzensur gab)503 viel nachsichtiger mit der Presse umgehe
als in Graz: „In Graz sind allerhand Gerüchte über größere Kämpfe verbreitet,
die bereits an unseren Grenzen stattgefunden haben sollen, und die militärischen
Zensurbehörden wurden lebhaft getadelt, weil sie diese Meldungen, die in auslän-
dischen und ungarischen Blättern enthalten waren, nicht veröffentlichten.“504
Die Grazer Zensurbehörde hatte anfänglich mehr Probleme mit den bürger-
lichen Zeitungen als mit dem Arbeiterwillen. Das belegen auch die Berichte der
BH Graz505 und des Statthalters.506 Der Arbeiterwille und ein Grazer Ableger der
498 Konfisziert!, in: Arbeiterwille, 14.6.1914, 1. Der Artikel thematisierte Franz Ferdinands Politver-
ständnis.
499 Nicht konfisziert, Herr Staatsanwalt!, in: Arbeiterwille, 14.6.1914, 2.
500 Siehe das Kapitel: Ultimatum an Serbien.
501 Vgl. exemplarisch für das (alldeutsche) Grazer Wochenblatt die Meldung im (radikal deutschna-
tionalen) Tagblatt: Konfisziert, in: Grazer Tagblatt, 21.6.1914, 3.
502 Oesterreichische und deutsche Truppen, in: Grazer Mittags-Zeitung, 5.9.1914, 2.
503 Vgl. allein die Ausgaben der Tageszeitung „Pester Lloyd“ (Budapest/Ofen-Pest/Pest-Buda).
504 Nur keine Ungeduld!, in: Grazer Volksblatt, 2.8.1914, 3.
505 BH Graz an Statthalterei-Präsidium, 24.7.1914 und 25.7.1914, in: StLA, Statt. Präs. E92c/444/1906
(1. Teil).
506 Statthalterei-Präsidium an Militärkommando Graz, 15.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. E92c/444/1906
(1. Teil).
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453