Page - 230 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof230
(sozialdemokratischen) Wiener Volksbuchhandlung äußerten sich diesen Berich-
ten zufolge weder antidynastisch noch antimilitaristisch. Erst gegen Ende No-
vember 1914 beanstandeten die Behörden, darunter die Staatsanwaltschaft, die
Blattlinie des Arbeiterwillens.507 Ein Blick in die steirischen Statthalterei-Akten
verdeutlicht, wie sehr sich maßgebliche Institutionen und Ministerien mit den
bürgerlichen Zeitungen beschäftigen mussten.508 Dem war so, weil die bürgerli-
chen Zeitungen unentwegt „nationshetzerische“ Artikel druckten (Zeitgleich pub-
lizierten sie „nationsversöhnende“ Artikel). Schlussendlich forderte sogar der (aus
Graz stammende) k. k. Ministerpräsident Karl Stürgkh den steirischen Statthalter
mehrmals dazu auf, gegen die antislowenischen Übergriffe einiger Behörden, Zei-
tungen und Zivilpersonen vorzugehen.509 Recht erfolgreich war er dabei nicht. Die
Versuche des Oberstaatsanwalts, die „nationale[n] Hetzartikel“ in den steirischen
Zeitungen zu unterbinden, missglückten ebenfalls:
„Ich [Oberstaatsanwalt Alfred Amschl] habe ferner am 15. und 16. August [...] tele-
grafisch und telefonisch sämtliche Staatsanwaltschaften beauftragt, nationale Hetzarti-
kel unbedingt zu unterlassen, ebenso Nachrichten über Verhaftungen mit Spitze gegen
Stände [gemeint ist hier der Klerus] und Volksstämme [gemeint sind hier die ‚Slowe-
nen‘]. Dagegen können Nachrichten über Tatsachen als solche, wie Verhaftungen und
Einlieferung, nicht unterdrückt werden, weil hie[r]zu jede gesetzliche Handhabe fehlt.
[...] Verhetzungen und Aufreizungen gegen Stände und Volksstämme in der Presse dür-
fen unter keinen Umständen mehr geduldet werden, von welcher Seite immer sie aus-
gehen mögen. Der Hinweis, dass solche Zeitungsnachrichten an Orten unbeanstandet
blieben, wo nationale Verschiedenheit nicht bestehen (wie z. B. in Graz), entschuldigt
dort nicht, wo der nationale Hader noch immer die Bevölkerung spaltet.“510
507 Oberstaatsanwaltschaft an Statthalterei-Präsidium, 20.11.1914, in: StLA, Statt. Präs. E92c/
2740/1914.
508 Die Mehrheit der Berichte stammt von der Staatsanwaltschaft, den Bezirkshauptmannschaften,
der Grazer Polizei-Direktion, dem k. k. Innenministerium sowie vom Statthalterei-Präsidium.
509 Vgl. z. B. folgende Sätze des Ministerpräsidenten Stürgkh: „Von maßgebender slovenischer Seite
wird mir [...] darüber Beschwerde geführt, dass in der gegenwärtigen Zeit, in welcher die Ange-
hörigen aller Volksstämme des Reiches dem Allerhöchsten Rufe folgend in einmütiger patrioti-
scher Begeisterung unter die Fahnen eilen, in Steiermark die sonst übliche auf nationaler Gegner-
schaft beruhende Polemik und Hetze der Lokalblätter fortgesetzt wird.“ Aus: Ministerpräsident
an Statthalterei-Präsidium, 12.8.1914, in: StLA, Statt. Präs. E92c/444/1906 (1. Teil).
510 Oberstaatsanwaltschaft an Statthalterei-Präsidium [Abschrift des Schreibens an die Staatsanwalt-
schaften in Graz, Klagenfurt, Marburg (Maribor) und Cilli (Celje)], 1.9.1914, in: StLA, Statt. Präs.
E91/2052/1914.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453