Page - 236 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof236
Lechter angestellt war.“535 Dasselbe praktizierten die Zeitungen bei den prominen-
ten Kriegsfreiwilligen aus Kunst, Wissenschaft und Politik (z.
B. der Grazer Schau-
spieler Hans Gollé).536 Derartige Akzentuierungen suggerierten, dass jeder Mann
(nicht nur Adelige) ein „Held“ und das bereits zu Lebzeiten werden konnte. Ebenso
untermauerten sie die Ansicht, dass man einen „Verteidigungskrieg“ führe, an dem
sich alle Bürger und Bürgerinnen beteiligen müssten. Zudem betonte die Presse,
dass sich die Ankunft der Verwundeten bedeutend von der Abfahrt der Soldaten
im August unterschied. Begriffe wie „ernst und schweigend“537 dominierten die
Presseschilderungen. Nur fallweise schrieb man, dass alle zurückkommenden Sol-
daten „in guter Stimmung“ seien.538 Im Normalfall addizierten die Zeitungen und
Zeitschriften den Soldaten jedoch eine „still[e] und ernst[e]“ Grundstimmung.539
Die Soldaten dienten, wie bereits angedeutet, als „ungeschönte“ Korrekturhilfe ei-
ner nach wie vor parteigefärbten (und zensierten) Presse, die sehr bald nicht mehr
überzeugen konnte. Als solche standen die Soldaten, sprich „die lebendigen
Zeitungen“540 (Peter Rosegger), und ihre mitgebrachten Kriegsandenken im Zent-
rum des Geschehens. Die „Kriegsmitbringsel“541 wurden von einigen Geschäften
ausgestellt. So lagen im Schaufenster einer Grazer Tapeten- und Linoleumfirma
neben russischen Uniformsteilen (wie z. B. eine „komplette durchschossene Un-
terwäsche eines Russen“, eine Bluse und eine Kappe) auch „Originalphotographien
vom nördlichen Kriegsschauplatz“ sowie „ein Stück eines serbischen Maschinen-
gewehrbandes mit Patronen.“542 Dem Kriegsüberwachungsamt und der Statthalte-
rei waren der (verbotene) Verkauf von im Krieg erbeuteten Waffen ein Dorn im
Auge: „In letzter Zeit sollen in manchen Geschäften, insbesondere in Waffen- und
Munitionshandlungen, erbeutete feindliche Waffen, wie Gewehre, Lanzen und
535 Ankunft von Verwundeten, in: Arbeiterwille, 6.12.1914 (2. Ausgabe), 3, 4. Den Vornamen von
Herrn Zimmermann konnte ich nicht ausfindig machen.
536 Künstler als Kriegsfreiwillige, in: Grazer Volksblatt, 22.8.1914, 5.
537 Ein Hilferuf, in: Grazer Tagblatt, 23.9.1914 (Abendausgabe), 2. Der „Hilferuf“ stammte von Peter
Rosegger. Vgl. parallel: Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1914), Nr. 2, 140.
538 Verwundetentransporte, in: Grazer Tagblatt, 5.9.1914 (Abendausgabe), 2.
539 Heimgärtners Tagebuch, in: Heimgarten (1914), Nr. 2, 135.
540 Ebd.
541 Die Presse betonte mehrmals diese „Kriegsmitbringsel“ (russische Infanteriekappen, Kosaken-
mäntel, Kugeln usw.), vgl. zwei Artikel: Ankunft eines großen Verwundetentransportes, in: Gra-
zer Volksblatt, 5.9.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 3; Bei den Verwundeten, in: Arbeiterwille, 5.9.1914,
3.
542 Vom Kriegsschauplatz, in: Grazer Mittags-Zeitung, 10.10.1914, 2.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453