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Erste „Soldatenerzählungen“ | 241
Schlussendlich blieb der Argwohn gegenüber diesen „Heimatskriegern“ nicht
auf das Kriegsjahr 1914 beschränkt. Vielmehr setzte er sich im zweiten Kriegs-
jahr fort.567 Daran erkennt man auch die Ambivalenz bezüglich seiner Haltung
gegenüber Kriegschauvinistischem. Nicht selten standen diejenigen Artikel, die
mit einer pathetisch-martialischen Rhetorik568 verfasst wurden, neben jenen Ar-
tikeln, die den „Hurrapatriotismus“ auf der Straße scharf missbilligten. Allenfalls
Hochrufe auf den Soldaten waren für ihn legitim bzw. waren als solche erwünscht.
Seine ab September geführte Argumentationslinie „Wir-haben-es-euch-Bürgerli-
chen-doch-von-Anfang-an-gesagt“ war in gewissem Sinne Teil dieser ambivalen-
ten Haltung. Sie kam in dem Artikel „Gefühl und Vernunft!“ besonders deutlich
zum Ausdruck:
„Wie haben doch die Leute, als unsere Soldaten ins Feld zogen, gejubelt und gejauchzt,
und wie oft wurden vernünftigere Leute bloß darum förmlich als ‚unpatriotisch‘ bezeich-
net, weil sie diesen Freudentaumel nicht machen konnten und sich bei aller Erkenntnis
der Notwendigkeit immer die schrecklichen Folgen des Krieges vor Augen hielten. –
Jetzt, da die Verwundeten kommen, was sehen wir da? Ein Wehklagen und Weinen und
zumeist von den gleichen Leuten, die früher gejauchzt und gejubelt haben, und voll-
kommene Fassung und hohen Ernst bei den andern, die sich früher ernst und würdig
zeigten und schon damals diese Verwundetenzüge als unvermeidliches Übel und Folge
des Krieges voraussahen.“569
Zudem irritiert es nicht, dass eine nur im Arbeiterwillen zu Wort kommende
Stimme aus dem Publikum forderte, dass man Grazer Klöster als Lazarette heran-
ziehen möge.570 Konkretisiert wurde dieser Anreiz, indem man die Hausnummern
der in Frage kommenden Klöster gleich mit druckte. Ob der Arbeiterwille hier
567 Vgl. z. B. Die Sorgen der Heimatskrieger, in: Arbeiterwille, 3.11.1915, 8.
568 Das beste Beispiel hierfür wäre folgender Artikel: „Vor ungefähr drei Wochen verließen die er-
wachsenen Männer Haus und Hof und verabschiedeten sich von den Familien, um nach den Ka-
sernen zu eilen und den Rucksack mit dem Tornister und den grünen Steirerhut mit der grauen
Kappe zu vertauschen. Viele von diesen Männern sind heute mitten drin im Kriegshandwerk,
im rauhen. Manche von ihnen blieben bereits auf dem Schlachtfelde liegen. Jetzt aber jauchzt
und tobt es wieder in der Stadt. Tausende von Burschen, die erst ins Kriegshandwerk eingeführt
werden müssen, haben ihre Heimat verlassen, sie sind aus tiefen Tälern und von hohen Bergen
herbeigeeilt, um dem an sie gelangten Rufe nachzukommen. […] In einigen Wochen stehen die
jungen Stürmer in den Reihen ihrer älteren Brüder, die bereits auf manche Waffentat zurückbli-
cken können.“ Aus: Die jungen Stürmer, in: Arbeiterwille, 26.8.1914, 3.
569 Gefühl und Vernunft!, in: Arbeiterwille, 11.9.1914 (Abendausgabe), 3.
570 Eine Anregung, in: Arbeiterwille, 3.9.1914, 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453