Page - 248 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Innenstadt und
Bahnhof248
ige Sprachbarrieren zu jenen Soldaten, die nicht Deutsch sprachen.600 Unter den
Dolmetschern befand sich unter anderem der Grazer Musikalienhändler Hippolit
Böhm.601 In weiterer Folge dürften auch Geistliche Seelsorge am Bahnhof geleis-
tet haben. Zumindest findet sich im Verordnungsblatt der Seckauer Diözese eine
entsprechende Anweisung von Seiten des Ordinariats.602 Einige der in Graz an-
kommenden verwundeten Soldaten waren bereits vorher in diversen Lazaretten
oder Krankenhäusern untergebracht. In Graz und seiner Umgebung wurden sie
in Krankenhäusern, in Reservespitälern sowie in Pflegeheimen (z. B. im Evange-
lischen Pflegeheim am Ruckerlberg) untergebracht.603 Diejenigen Verwundeten,
die nur auf der Durchreise waren, wurden meistens weiter nach Klagenfurt, Mar-
burg (Maribor) oder Laibach (Ljubljana) überstellt. Der radikal deutschnationale
Verein Südmark errichtete zudem ein Genesungsheim in Kroisbach, das nur von
„Südmärker[n] oder andere[n] Deutsche[n] aus dem 3. Korps“ in Anspruch ge-
nommen werden durfte.604 Derartige (gesinnungs- und herkunftstechnische) Vor-
gaben/Ausschlussverfahren finden sich quer durch die Presselandschaft. Immer
wieder wurden private und als „patriotisch“ verstandene Wohlfahrtsprogramme
ins Leben gerufen, in deren Genuss man nur dann kam, wenn man diverse Krite-
rien erfüllte. Dabei fällt auf, dass neben den naheliegenden Auswahlkriterien (Ar-
mut, Elternlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Witwenstatus usw.) vielfach ein bestimmtes
Konfessionsbekenntnis und/oder eine bestimmte Vereinsmitgliedschaft vonnöten
waren. Dass für die Teilnahme an einem Wohlfahrtsprogramm oder zumindest für
einen einmaligen finanziellen Zuschuss die konfessionelle Zugehörigkeit von Be-
deutung sein konnte, zeigt sich beispielsweise am evangelischen Grazer „Sarajevo-
Stiftungsplatz“ für „evangelisch-deutsch[e]“605 Waisenkinder. In den Genuss dieser
finanziellen Zuwendung kam man, wenn man „erstens gesund ist, zweitens schul-
pflichtig ist, drittens durch diese Kriegszeiten vaterlos geworden ist, viertens von
der Mutter nicht erhalten werden kann, fünftens aus [... den beiden evangelischen
600 Ankunft Schwerverletzter, in: Arbeiterwille, 10.9.1914, 3.
601 Das entnimmt man jedenfalls einem Artikel aus den Februartagen des Jahrs 1915, vgl. Dank, in:
Grazer Mittags-Zeitung, 15.2.1915, 3.
602 Seelsorgliche Fürsorge für die Verwundeten, in: Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer
Diözese (1914), Nr. 10, 90.
603 Zu nennen sind hier: Landeskrankenhaus (seit 1912), Allgemeines Krankenhaus, Garnisonsspi-
tal, Kinderspital, Barmherzige Brüder, Sanatorium Schweizerhof, Universität, Kasernen/Notba-
racken, Handelsakademie, Staatsgymnasium, Meerscheinschlössl, Hallerschloss am Ruckerlberg.
604 Eröffnung des Südmark-Genesungsheimes in Kroisbach, in: Grazer Tagblatt, 5.10.1914 (Abend-
ausgabe), 3.
605 Graz. (Sarajevo-Stiftungsplatz.), in: Evangelische Kirchen-Zeitung für Oesterreich, 15.8.1914,
206.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453