Page - 260 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Alltag und
Einheitsprüfungen260
musste das Amt täglich einen enormen Andrang von Stellensuchenden bewälti-
gen.26 Dieser Zulauf trug aus meiner Sicht wie der Andrang auf die Geldinstitute,
auf die Geschäftsläden, auf die Postämter, auf das Amtshaus, auf die Kirchen oder
auf den Bahnhof zur geschäftigen „Hyperaktivität des Kriegsbeginnes“27 bei. Ei-
nige Frauen und Männer, die am Land nach Arbeit suchten, wurden teilweise von
den Bäuerinnen und Bauern zurückgewiesen. Manchmal kam es dabei zu schär-
feren Wortgefechten. Im Besonderen kommt dies in dem Augustartikel „Wie die
Erntearbeiter auf dem Lande empfangen werden“ des Arbeiterwillens zum Aus-
druck. Dieser Artikel stellt anscheinend eine wörtlich wiedergegebene Meldung
aus St. Peter-Freienstein dar. Wer diese Meldung verfasste, wurde nicht angeführt:
„Aus St. Peter-Freienstein wird uns geschrieben: Einige Bauern von Trofaiach, St. Peter,
Donauwitz und St.
Michael benehmen sich jetzt besonders frech. Wenn ein Arbeitsloser
oder eine arbeitswillige hinterbliebene Frau um Arbeit fragt, so bekommen die Leute
zur Antwort: Na, jetzt wären die Schmiedleute auch zu haben, weil sie nichts zu fressen
haben! Einige Bauern haben sich gar geäußert, bevor sie einen Werkarbeiter nehmen,
solle lieber die Ernte auf dem Felde verfaulen! Aus dieser Behandlung kann man ent-
nehmen, welch rohe Behandlung manche Arbeiter auf dem Lande erfahren. Und dann
hat es den Anschein, als ob manche Bauern auf eine Unterstützung aus dem öffentlichen
Notstandsfonds hoffen, denn sonst wäre es nicht erklärlich, daß ein Bauer den Arbeits-
willigen droht, die Ernte auf dem Felde verfaulen zu lassen!“28
auch das statistische Landesamt für die Steiermark. Abseits des Hauseigenen-Berichts (sprich
der „Bericht über die Tätigkeit der steierm. Arbeitsvermittlungsämter und des unentgeltlichen
Wohnungsnachweises in Graz im Jahre [so-und-so]“) schlugen sich ihre Analysen und Forde-
rungen in den „Blättern für Armenwesen“, in der „Sozialen Rundschau“ (sprich dem Organ des
Arbeitsstatistischen Amts) und in der Zeitschrift „Der Arbeitsnachweis. Zeitschrift für Arbeitslo-
sigkeit, Arbeitsvermittlung, Auswanderung und innere Kolonisation“ nieder (sprich dem Organ
des Reichsverbandes der allgemeinen Arbeitsvermittlungsanstalten Österreichs der Österr. Ver-
einigung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit). Näheres zur Geschichte der beiden Arbeitsver-
mittlungsämter entnimmt man der 1914 erschienenen Monografie von Otto Wittschieben, dem
damaligen Direktor des statistischen Landesamts der Steiermark, vgl. Wittschieben (1914). Ein
weiterer Abriss über das Grazer Arbeitsvermittlungsamt in: Hubbard (1984), 198 f.
26 Das geht aus folgender Zeitschrift hervor: Der Arbeitsnachweis. Zeitschrift für Arbeitslosigkeit,
Arbeitsvermittlung, Auswanderung und innere Kolonisation. Organ des Reichsverbandes der
allgemeinen Arbeitsvermittlungsanstalten Österreichs der Österr. Vereinigung zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit (1914), 459.
27 Geinitz (1998), 147.
28 Wie die Erntearbeiter auf dem Lande empfangen werden, in: Arbeiterwille, 18.8.1914 (Abend-
ausgabe), 2.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453