Page - 261 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Arbeitslosigkeit | 261
Zur Arbeitsmigration aufs Land rieten nicht nur das Arbeitsvermittlungsamt29 und
die k. k. Landwirtschaftsgesellschaft der Steiermark, sondern auch die Zeitungen.
Zudem druckten die Redaktionen die Presseaussendungen des Vermittlungsamts
und der Landwirtschaftsgesellschaft. Mitte August verlautbarte beispielsweise das
Amt, dass jeder Zuzug in die Stadt Graz „nach Möglichkeit fernzuhalten“ sei, zu-
mal es hier „schon jetzt gar keine“ Arbeitsmöglichkeit gäbe.30 Außerdem würden
demnächst „Hunderte von Arbeitskräften, die jetzt noch für das Militärärar be-
schäftigt sind, stellenlos werden.“31 Das Amt empfahl daher eine Arbeitsplatzsu-
che auf dem Land, obwohl dort vielfach nur mehr Stallpersonal benötigt würde.
Die Begründung ihres Appells fußte auf der Annahme, dass im Falle einer weite-
ren Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation die Stadtverwaltung nicht dazu
in der Lage wäre, so viele Stellenlose zu erhalten.32 Die Tagespresse folgte dieser
Begründung und wies zusätzlich darauf hin, dass auch in den anderen Städten
keine Arbeitsplätze mehr zur Verfügung stünden.33 Artikel wie „Warnung vor dem
Zuströmen von Arbeitslosen in die Hauptstädte“ oder „Arbeitslose, gehet nicht
nach Wien!“ waren zur damaligen Zeit nicht selten.34 Selbst die Hoffnung, dass
man in der florierenden Österreichischen Waffenfabrik in Steyr einen Arbeitsplatz
bekommen könnte, wurde mehrfach vor der Presse gedämpft. Im Tagblatt hieß es
dazu kurzerhand: „In [der] Stadt Steyr gibt es derzeit keine Arbeitsgelegenheit.“35
Viele Arbeitssuchende gingen dennoch in die Industrie- und Bergbaugebiete. An-
dere Stellensuchende zogen aufs Land, um dort als Erntehelfer oder Stallarbeiter
unterzukommen. Die Bezirkshauptmannschaften urteilten am schärfsten über die
erhöhte Arbeitsmigration. Sie sahen die „Ruhe und Ordnung“ gefährdet. Diese
Einschätzung kam vor allem in einem Bericht der BH Voitsberg zum Ausdruck.
Die in ihm zur Sprache gekommene „Invasion arbeitsscheuer und verdächtiger Ele-
29 Das entnimmt man dem 1915 erschienenen: Bericht über die Tätigkeit der steierm. Arbeitsver-
mittlungsämter und des unentgeltlichen Wohnungsnachweises in Graz im Jahre 1914 (1915).
30 Wichtig für Arbeitsuchende, in: Grazer Tagblatt, 12.8.1914 (Abendausgabe), 2. Vgl. parallel:
Wichtig für Arbeitsuchende, in: Grazer Volksblatt, 12.8.1914 (12-Uhr-Ausgabe), 3. Die Kleine
Zeitung brachte die Presseaussendung einen Tag später: Wichtig für Arbeitsuchende, in: Kleine
Zeitung, 13.8.1914, 3.
31 Wichtig für Arbeitsuchende, in: Grazer Tagblatt, 12.8.1914 (Abendausgabe), 2.
32 Ebd.
33 Vgl. auch: Bachmann (1972), 150.
34 Warnung vor dem Zuströmen von Arbeitslosen in die Hauptstädte, in: Arbeiterwille, 5.9.1914
(Abendausgabe), 2; Arbeitslose, gehet nicht nach Wien!, in: Grazer Mittags-Zeitung, 16.9.1914,
3.
35 In Stadt Steyr gibt es derzeit keine Arbeitsgelegenheit, in: Grazer Tagblatt, 8.10.1914 (2.
Morgen-
ausgabe), 3.
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Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Title
- Graz 1914
- Subtitle
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Author
- Bernhard Thonhofer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien - Köln- Weimar
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 510
- Keywords
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453